piwik no script img

dvdeskDer blockierte Weg in die Freiheit

Männer, die mit Pferden ringen, menschliche Kraft, die tierische zu bändigen sucht, das sind die ersten Bilder von „Wie wilde Tiere“. In starker Verlangsamung sieht man die Pferde und die Menschen, dazu eine drohend simmernde Musik, die fast so klingt, als sei ein Orchester dabei, die Instrumente zu stimmen. Die wilden Tiere werden bei dieser Aktion niedergerungen und gebrandmarkt, um sie hinterher in die Freiheit entlassen zu können. Das ist allegorisch zu nehmen, denn mit der Erzählung, die folgt, haben diese Szenen direkt nichts zu tun.

Stattdessen ein Mann wie ein Ochse, mittleren Alters, stiernackig, korpulent, dabei sehr beweglich: Antoine (Denis Menochet). Er ist mit seiner Frau Olga (Marina Fois) hinter die sieben Berge in ein von den Menschen und allen guten Geistern verlassenes Dorf im spanischen Galicien gezogen, wo sie nun leben. Sie sind Franzosen, er war Lehrer, sie sind gebildet, aus urbanem Milieu, haben in der Ferne eine Tochter, die ihre Entscheidung nicht versteht, ein Enkelkind, das die Großeltern per Zoom kennenlernt. Das Spanisch von Olga und Antoine ist nicht brillant, aber sie kommen zurecht.

Sie sind kultiviert, wollen beide das Beste, denken sie jedenfalls, und zwar nicht nur für sich, sondern für das Dorf und die Menschen in dieser Gegend. Auf ihrem Grundstück bauen sie Gemüse an, und zwar nach Öko-Prinzipien, die sie dann auf dem Markt in der nächsten Kleinstadt verkaufen. Sie richten verfallene Häuser wieder her, und zwar unentgeltlich, sie hoffen, mit sanftem Tourismus wieder etwas Leben in die Gegend bringen zu können. Und sie haben sich gegen den Verkauf des Grundstücks an eine Firma entschieden, die hier Windräder aufstellen möchte.

Damit haben sie sich ihre unmittelbaren Nachbarn, das Brüderpaar Xan (Luis Zahera) und Lorenzo (Diego Anido), zu Feinden gemacht. Die beiden leben schon immer hier, sitzen mit anderen Männern in der Kneipe des Dorfes zusammen, wo sie trinken und trinken. Dass Fremde hier auftauchen, haben sie von Anfang an mit Argwohn gesehen, sie sind alles andere als Sympathen, werden zu immer brutaleren Mitteln greifen bei ihrem Versuch, das französische Paar einzuschüchtern und wieder aus ihrer Gegend zu vertreiben.

An ihrer Niedertracht lässt Regisseur Rodrigo Sorogoyen keine Zweifel, und das muss er auch nicht, schon weil das, was er in seinem mit gleich neun Goyas ausgezeichnetem Film erzählt, auf einer wahren und wahrlich finsteren Geschichte beruht. (Die schon einmal, im Jahr 2016, in einem Dokumentarfilm, „Santoalla“, aufgerollt worden ist.)

In einer langen Szene im Zentrum des Films aber, einem Kneipengespräch zwischen Antoine und seinem Widersacher Xan, kommen auch die Argumente von Xan zu ihrem Recht. Er ist hier geboren, an den Ort und dieses Leben gefesselt, das der Fremde, der tausend andere Möglichkeiten hätte, sich ausgesucht hat. Der Verkauf an die Windradgesellschaft hieße für Xan: Weg in die Freiheit. Es ist dieser Weg, den er durch den Mann aus der Fremde blockiert sieht.

Es ist nicht subtil, aber überzeugend, wie Sorogoyen einen zentralen Konflikt heutiger Gesellschaften in diesem Zusammenstoß vorführt: zwischen denen mit vielen Optionen und denen, die wenige haben oder auch keine; und zwar beides aus Gründen, die nicht nur im Individuum liegen, sondern auch in brutal ungerechten sozialen Strukturen.

Sorogoyen führt einen zentralen Konflikt heutiger Gesellschaften vor: zwischen denen mit vielen Optionen und denen, die wenige haben oder auch keine

„Wie wilde Tiere“ erzählt das, thrillernah, als Tragödie. Wie zu vermeiden gewesen wäre, was hier geschieht, ist nicht leicht ersichtlich. Im letzten Drittel aber gibt der Film doch einer anderen, auch weniger männlichen Logik Raum. Er rückt Olga ins Zentrum und mit ihr ein Beharren anderer Art. Keine Lösung, keine Versöhnung. Aber am Ende doch etwas wie Frieden. Ekkehard Knörer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen