piwik no script img

dosiertKaputtlachen statt Selbstoptimierung

Lachgas ist eine super Sache. Man kann damit alles Mögliche machen. Raketentreibstoff verbessern, Sprühsahnedosen auf Druck bringen, Zahn­arzt­pa­ti­en­t:in­nen betäuben. Und man kann es durch Luftballons einatmen, um high zu werden. Das High hält zwischen 30 Sekunden und ein paar Minuten. Es fühlt sich gut an, irgendwie warm, bisschen euphorisch, manchmal richtig lustig.

Bei Jugendlichen ist Lachgas voll im Trend, Tendenz steigend. Kein Wunder: Die Kartuschen kriegt man easy am Späti oder online und braucht nicht mal einen Ausweis. Als „Sahnebereiter“ deklariert, ist der Verkauf von Lachgas in den meisten Orten in Deutschland legal und unterliegt keiner Altersbeschränkung.

Seit dem 1. Januar 2025 ist das in Hamburg und Osnabrück anders. Die beiden Städte verbieten den Verkauf von Lachgas an Minderjährige. Das Verbot kommt nicht überraschend. Einige Landkreise sind schon so weit, über eine bundesweite Regelung wird diskutiert. In Frankreich ist der Verkauf an unter 18-Jährige schon verboten, Großbritannien, Dänemark und die Schweiz haben Lachgas als Droge eingestuft. Schon lange fordern Ex­per­t:in­nen auch für Deutschland ein Verkaufsverbot für Minderjährige. Und sie haben dafür gute Argumente.

Erstens ist Lachgas nicht gerade billig. Eine Zwei-Kilo-Flasche, die man an einem Abend leeren kann, kostet 70 Euro. Den meist jungen Kon­su­men­t:in­nen ist es das wert. Der Umsatz hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. 17 Prozent der Schü­le­r:in­nen in Frankfurt/M. zum Beispiel haben Lachgas schon mal probiert.

Noch mehr als um ihr Taschengeld sorgen sich die Ex­per­t:in­nen um die Gesundheit der Inhalierenden. Für diese ist Lachgas auf die Dauer extrem schädlich. Es wirkt auf das zentrale Nervensystem und hemmt die Aufnahme von Vitamin B12, das unsere Nerven brauchen, um zu funktionieren. Wenn man regelmäßig konsumiert, kann das Nervensystem nachhaltig zerstört werden, mit Folgen für Körper und Psyche. Manche Betroffene spüren ihre Extremitäten nicht mehr richtig, können nicht mehr laufen, nässen ein oder entwickeln Paranoia. Lachgas kann psychisch abhängig machen.

Den Lachgas-Verkauf an Minderjährige zu verbieten, ist trotzdem falsch. Erstens bringen Verbote selten etwas. Es ist gut belegt, dass der Konsum von Drogen nicht durch Verbote verhindert wird. Bei Jugendlichen erhöhen Verbote bisweilen sogar den Reiz. Jugendliche werden sich Lachgas also trotzdem besorgen. Ein Verkaufsverbot beruhigt also höchstens besorgte Erwachsene, die hoffen, dass Teenies dann endlich ihre Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen. Den jugendlichen Kon­su­men­t:in­nen bringt das überhaupt nichts, außer Stigmatisierung und Kriminalisierung.

Außerdem bekämpft das Verbot bloß die Symptome. Würde man wirklich was für Jugendliche tun wollen, müsste man nach den Ursachen des zunehmenden Lachgas-Konsums fragen. Warum nehmen immer mehr Jugendliche in Kauf, nicht mehr laufen zu können, nur um für 30 Sekunden ihre Probleme zu vergessen? Weil es ihnen mies geht. Jugendliche fühlen sich zunehmend vereinzelt, gestresst und traurig. Das belegen Studien. Spätestens seit der Coronapandemie haben Belastungen noch mal zugenommen.

Wenn man regelmäßig Lachgas konsumiert, kann das Nervensystem nachhaltig zerstört werden

Auch ohne Pandemie stehen junge Menschen im Spätkapitalismus stärker unter Druck als eine Sprühsahneflasche. Die neo­liberale Ideologie der Selbstverantwortung ist omnipräsent, vor allem auf Social Media. Erfolg ist eine Frage des richtigen Lifestyles. Wer fett, hässlich oder arm ist, hat sich nicht genug angestrengt. Leistung ist alles und Scheitern ein Zeichen der eigenen Wertlosigkeit. Das knallt besonders rein, wenn man jung und unsicher ist.

Mit Lachgas kann man diesen Leistungszwang mal kurz abschalten. Überhaupt gehört Kontrollverlust zur Jugend dazu. Das war schon immer so, Verbote hin oder her. Also, Erwachsene: Wenn ihr euch wirklich für Jugendliche interessiert, denkt euch was Besseres aus als ein Lachgas-Verkaufsverbot. Eine bessere Gesellschaft zum Beispiel, die nicht an Profit­maximierung ausgerichtet ist. Amira Klute

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen