doppelblind: Der Krieg und das Meer
Zwei britische Bomben trafen das Vorpostenboot V-1302 der Deutschen Kriegsmarine am 12. Februar 1942 um 15.53 Uhr. Sie schlugen in den Kesselraum und die Antriebswelle des Schiffs ein. Nach 30 Sekunden war V-1302, 1927 als Fischkutter „John Mahn“ in Hamburg gebaut, bereits gekentert. Es sank auf den Grund der Nordsee vor der belgischen Küste.
Dort liegt die „John Mahn“ heute noch, mit einem großen Loch in der Seite, verursacht durch einen der Bombentreffer. Im Gegensatz zu den meisten Schiffen, die auf dem Meeresgrund liegen, wurden keine Gefahrenstoffe von in Kriegen versenkten Schiffen entfernt. Sie verschmutzen deswegen noch jahrzehntelang ihre Umgebung. Forscher*innen aus Belgien unter der Leitung von Josefien van Landuyt haben die „John Mahn“ selbst und die Sedimente in ihrer Nähe untersucht, um die konkreten Effekte von Schiffswracks auf die dortigen Mikrobiome zu beobachten. Ihre Studie erschien im Fachmagazin Frontiers in Marine Science. Die Wissenschaftler*innen fanden außergewöhnlich viele Schwermetalle wie Nickel, Kupfer und Arsen in der Nähe des Wracks.
Außerdem stellten sie fest, dass sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) die Sedimente in der Nähe des Schiffs verschmutzen. PAK sind langlebige und zumeist giftige Stoffe, die Teil aller fossilen Energieträger sind, auch von der Kohle, die die „John Mahn“ antrieb. Die Halbwertszeit von PAK kann zwischen wenigen Tagen und mehreren Jahrzehnten liegen. Einige der Stoffe, die die Forscher*innen gefunden haben, könnten deshalb vor mehreren Jahrzehnten ausgetreten sein, während andere, zum Beispiel Naphthalin mit einer Halbwertszeit von 13 Tagen, vor Kurzem ins Wasser gelangt sein müssen.Mittels Gensequenzierung und einer Analyse der Zusammensetzung der Chloroplasten haben die Forscher*innen bestimmt, wie viele Kleinstlebewesen wie oft und wo auf der „John Mahn“ und in den umgebenden Sedimenten leben. Sie fanden heraus, dass bestimmte Bakterien- und Algenarten dort häufiger vorkommen, wo die Verschmutzung durch PAK stärker ist, zum Beispiel in der Nähe des Kohlebunkers. Auf dem Schiffsrumpf fanden die Forscher*innen sechsmal so viele Schwefel verarbeitende Bakterien wie im Sediment. Der Schiffsrumpf wies generell eine geringere Artenvielfalt auf als das umgebende Sediment.
Die Verschmutzung, die von der „John Mahn“ ausgeht, liegt noch im Rahmen der Oslo-Paris-Konvention für den Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantik. Trotzdem lassen ihre Ergebnisse den Autor*innen der Studie zufolge darauf schließen, dass die ins Sediment sickernden PAK die Struktur der Bakteriengesellschaften auf dem Meeresboden verändern. In einer Pressemitteilung von Frontiers in Marine Science sagte die Erstautorin der Studie, Josefien Van Landuyt, man vergesse häufig, dass von Menschen geschaffene Objekte bereits große Auswirkungen auf die Tiere, Mikroben und Pflanzen haben, die in der Nähe von Schiffswracks leben. Dort sickern Chemikalien, fossile Treibstoffe und Schwermetalle aus Schiffen, von deren Existenz wir gar nichts wissen. Sie fordert deswegen, mehr Wracks in der Nordsee zu untersuchen, um das Ausmaß des Schadens an der Natur feststellen zu können. Jonas Waack
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