dokumentation: Libro unterläuft die Buchpreisbindung
„Der Chef hat geweint“
Es ist eine kleine Sensation: Seit Sonnabend kann man in Deutschland preisgebundene Bücher billiger erwerben. Der österreichische Großbuchhändler Libro bietet im Rahmen seines Internet-Auftritts Lion.cc Bestseller 20 Prozent unter Ladenpreis an: Donna Leons „In Sachen Signora Brunetti“ zum Beispiel kostet 31,92 Mark statt 39,90. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und Kulturstaatsminister Naumann hatten die Preisoffensive vorab für unrechtmäßig erklärt: Libro verstoße gegen die Reimport-Klausel der EU-Kommission, in der die Wiedereinfuhr von Büchern dann verboten wird, wenn sie allein der Umgehung der Preisbindung dient. Der taz wurde ein Protokoll aus dem engeren Mitarbeiterkreis Michael Naumanns zugespielt.
Donnerstag, 22. Juni
Treffen mit dem Chef (gemeint ist Kulturstaatsminister Naumann, Anm. d. Red.) Es gibt neue Pläne bei den Österreichern (gemeint ist der österreichische Großbuchhändler Libro, Anm. d. Red.): Sie wollen zum 1. Juli bei Internet-Bestellungen auf Bestseller einen Rabatt einräumen. Der Chef sagt, das geht nicht.
Freitag, 23. Juni
Der Chef hat’s den Österreichern richtig gezeigt: Die Preisoffensive sei ein „angekündigter Gesetzesbruch“. Der Börsenverein hat mit rechtlichen Schritten gegen die Österreicher gedroht. Das ist gut. Wir sind nicht allein. Der Chef schwört uns noch einmal auf die Kulturnation ein. Gemeinschaftsgefühl.
Donnerstag, 29. Juni
Die ganze Woche im Internet. Auf der Seite der Österreicher (www.lion.cc, Anm. d. Red.) läuft ein hämischer Countdown: „Nur noch zwei Tage. Ab Samstag präsentiert sich LION.cc in einem völlig neuen Look.“ Morgen muss wieder Presse her.
Freitag, 30. Juni
10.22 Uhr. Ins Internet: „Nur noch einen Tag.“ Sehr witzig.13.52 Uhr. Der Chef zeigt Größe und bleibt sachlich: „Wer wie auch immer in Deutschland Bücher zu Dumpingpreisen anbietet, muss wissen, dass er damit gegen geltendes Recht verstößt.“
16.15 Uhr. Historischer Moment. Der Bundestag hat entschieden: Die nationale Buchpreisbindung bleibt erhalten, Reimporte, die der Umgehung der Preisbindung dienen, sind verboten. Der Chef spricht vor der Presse vom „Schutz von einigen der vielseitigsten Literaturlandschaften Europas“. Muss ihn bei Gelegenheit fragen, welche die anderen Landschaften sind.17.30 Uhr. Der Börsenverein kneift. Erklären der Presse, dass sie keine rechtlichen Schritte gegen die Österreicher ergreifen wollen. Feiglinge. Wir sind allein.
Samstag, 1. Juli
8.51 Uhr. Schlecht geschlafen. Im Traum hat der Chef geweint. Sofort ins Internet. Keine billigen Bücher, statt dessen der Stand von gestern: „Nur noch einen Tag.“ Österreich schläft noch. Ha!
9.35 Uhr. Zeitungslektüre im Ministerium, alle Hoffnungen bei der FAZ. Nichts. Die Gen-Debatte geht weiter. Was ist eigentlich noch wichtig? Der Chef hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen und hört Jazz.
12.30 Uhr. Schaue mir die Sache vor Ort an. Die Österreicher haben gerade erst eine Filiale in Berlin eröffnet, im Europacenter. Das Konzept heißt „Tainment“. Lächerlich. Es gibt Spielzeug, CDs, paar Bücher, paar Videos. Ein DVD-Player ist im Angebot: 590 Mark. Gebe mich als Journalist aus Die Pressesprecherin versucht, mir die Sache mit den billigen Büchern an einem der Computer zu erklären. Klappt aber nicht. Klammheimliche Freude. Sie drückt mir ein Blatt mit einer Erklärung der Brüsseler (gemeint ist die EU-Kommission, Anm. d. Red.) in die Hand. Dort hat man anscheinend überhaupts nichts gegen die ganze Sache! Was ist eigentlich los?
12.50 Uhr. Ich verlasse den Laden. Vorher kaufe ich noch eine CD. Muss auch mal Jazz hören. Duke Ellington: „Essential Masterpieces“. Nur 14 Mark 99. Zugegeben, das ist billig. Brauche demnächst eigentlich unbedingt einen DVD-Spieler.
18.34 Uhr. Den ganzen Nachmittag Duke Ellington gehört. Depressionen. Der Chef nimmt das Telefon nicht ab. Warum hört er immer Jazz?
18.35 Uhr. Ins Internet. Es ist so weit. Neun Bestseller, alle 20 Prozent billiger. Das ist das Ende. Beim Chef nimmt keiner ab. Hat er eigentlich E-Mail? Er muss endlich reagieren.
18.45 Uhr. Zum letzten Mal Internet. Die Seite der Österreicher. Ist jetzt auch egal. Ich bestelle „Forever Young – Das Erfolgsprogramm“. Ein Bestseller. „Sie haben 7,98 DM gespart.“ Ja, ja. Das Buch kriegt der Chef von uns zum nächsten Geburtstag. Hoffentlich lässt er nicht alle Paketsendungen aus Österreich überwachen. Wäre dann ja keine Überraschung mehr.
DOKUMENTATION: KOLJA MENSING
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