dieter baumann über Laufen: Die Silhouette der Spätzles Drugge
Auch Spitzensportler essen zu fett. Dagegen hilft nur ein eigener Koch: Naoko Takahashi hat einen – und ich bald auch
Nebel lag über der Hauptstadt und verhinderte fast die Sendung vom Berlin-Marathon. Die Motorradkameras konnten keine Bilder der Läufer liefern, da die zur Übertragung notwendigen Helikopter am Boden bleiben mussten. Auch bei uns knirschte und rauschte es fürchterlich in den Ohren. Wir, die An-der-Strecke-Interviewexperten, hatten Mühe, die Fragen der Moderatoren richtig zu verstehen, denn unsere Kopfhörer funktionierten nur sporadisch. Dennoch war ich guter Dinge. Ich stand am „Wilden Eber“ bei Kilometer 36. Eine Sambaband sorgte wie immer für Superstimmung. Ohrenbetäubend, aber gut. Zudem munterten Cheerleaders uns Zuschauer und die Läufer auf.
Auch die Moderatoren taten ihr Bestes. Die lange Vorbereitung der vielen Hobbyläufer wurde gelobt, der Laufboom bewundert, immer wieder das Wetter – kühl und neblig – erwähnt, das Trinken (enorm wichtig) und die Stimmung (einmalig). Das Hauptthema war aber eine zierlich Läuferin aus Japan: Naoko Takahashi. Die Olympiasiegerin, die hier letztes Jahr in Weltrekordzeit gewonnen hatte, war die unangefochtene Hauptdarstellerin. Sie hatte schon in der ersten Hälfte des Rennens ihre Verfolgerinnen abgeschüttelt und lief ein einsames Rennen. Drei Monate Vorbereitung, alles dem Abenteuer Marathon untergeordnet, hieß es. „Schuhtechniker, Masseur, Trainer und einen Koch hatte sie nach Berlin mitgebracht“, hörte ich Thomas Wessinghage als Cokommentator sagen. Es knackte in der Leitung, der Ton war weg. Plötzlich hörte ich „Hallo Wilder Eber“, es knirschte, „Vorbereitung“, dann wieder eine Störung. Auf einmal rauschte das Wort „München“ in mein Ohr und „Fragen wir ihn“. Sogleich ging das rote Licht unserer Kamera ging. Mit „ihn“ meinten sie mich. Einen Masseur, Arzt und Schuhtechniker gab es in meinem Trainingslager nicht, auch einen Koch leider nicht. Trotzdem ein netter Gedanke. Ich dachte an Nudeln, klar die Kohlenhydrate, an schmackhaftes Gemüse und frisches Obst. Viele Kohlenhydrate für einen Läufer und wenig Fett.
Das klingt einfach, ist es aber nicht. Nur wenige Tage nach dem Berlin-Marathon stellt ein Ernährungsexperte bei einer Vortragsreihe „Power auf Dauer“ fest: Wir sind von einer idealen Ernährung weit entfernt. Nur: Was ist schon ideal? 60 Prozent Kohlenhydrate, 25 Prozent Eiweiß, 15 Prozent Fett. Dies, so der Wissenschaftler, gehört zur Allgemeinbildung. Die Realität sieht selbst bei vielen Spitzenathleten ganz anders aus. Zu viel Fett, die Ernährung demnach nicht ausgewogen genug.
Da spielen die minimalen Mengen an Vitaminen und Mineralien kaum noch eine Rolle, die wir bei einer Stunde Dauerlauf oder einem animierten „Power-Spinning-Training“ verlieren. Ein mittlerer Apfel gleicht den Verlust von Vitamin C während dieses Zeitraumes locker aus.
Also doch Apfelsaftschorle und nicht ein Isoaktiv-Hallowach-ACE-Oxidanzgetränk. Der Andrang von Zuhörern war groß und zeigte, wie populär das Thema Sport und Nahrungsergänzung geworden ist. Vitaminpillen für die glatte Haut, Mineralien für funktionierende Muskeln, isotonische Sportgetränke nach dem Fitnesspowerbesuch, Müsliriegel für davor. Was kann man nicht alles falsch machen! Wie gut also für Takahashi bei ihren Ausflügen nach Europa, einen Koch dabei zu haben. Oder schmeckt ihr die europäische Küche einfach nicht? Sieht die Ernährung eines Profis vielleicht doch nicht ganz so kompliziert aus, wie es manche darstellen möchten? Ein herrliches Kurzreferat der Balletttänzerin Sonja Santjago- Brückner über Ernährung und ihren Arbeitstag bestärkte mich in dieser These.
Der Tag, gefüllt mit Training und Proben bis in den Nachmittag, bewaffnet mit einer Flasche Wasser und Saft, einer kleinen Belohnung für zwischendurch – die Psyche isst mit – schließt sich dem Auftritt am Abend direkt an. Erschrocken stellt sie fest, das Essen und auch die richtige Mischung kamen zu kurz. Trotzdem könne sie ihre Silhouette des definierten schönen Körpers im Spiegelbild bewundern. „Die schöne Silhouette des Körpers“, und das alles mit einem ausgeglichenem Allerlei und von allem nicht zu viel.
Die Tänzerin aus Spanien liebt das leichte mediterrane Essen, die japanische Läuferin hat ihren Koch. Bis auf die Silhouette und das Spiegelbild sieht es bei mir so aus wie bei der Tänzerin: Hektik am Tag, Essen manchmal nebenbei. Und der Luxus eines eigenen Kochs? Bei meinem nächsten Start in Japan nehme ich auf alle Fälle einen mit: meine „Spätzles Drugge“. Nicht so sehr wegen der Silhouette und dem Spiegelbild, sondern allein wegen der Kohlenhydrate.
Fragen zum Laufen?kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen