die wahrheit: Schockstarre durch das Trikot des Schreckens
In der fußballfreien Sommerpause präsentieren die Vereine ihre Neueinkäufe und die funkelnagelneuen Sportleibchen.
Erinnert sich noch jemand an das scheußliche Trikot der deutschen Fußballweltmeistermannschaft von 1990? Ein aufdringlich breites, schwarzrotgoldnes Nationalfarbenband zog sich in wilden Zacken über die Brust der Spieler wie die Fieberkurve auf dem Krankenblatt eines Seuchenpatienten. Vielleicht hat das fürchterlichste Nationaltrikot aller Zeiten aber auch dazu beigetragen, die gegnerischen Mannschaften in eine Art ästhetischer Schockstarre zu versetzen, so dass Deutschland 1990 auf diesem Weg unbehelligt Weltmeister werden konnte.
Keine Frage, beim Trikot ist das Design ausschlaggebend: ob mit oder ohne Kragen, klassisch-streng, modisch-innovativ oder im Retro-Look, um zumindest optisch an die Erfolge früherer Tage anzuknüpfen. Das einfarbige oder gestreifte Trikot in den Vereinsfarben ist der Teil der Spielerkleidung, dem die meiste Aufmerksamkeit der Zuschauer gilt - und für die Marketing- und Merchandisingbeauftragten der Vereine deshalb vorrangiges Instrument der "Kundenbindung". Spielten die Klubs früher jahrein, jahraus im immergleichen Trikot, haben sie heutzutage diverse Kollektionen im Spind. Heim- und Auswärtstrikot, zu jeder Spielzeit in neuen Abwandlungen. Da der weltweite Verkauf von Trikots mittlerweile einen immer größeren Betrag in die Kassen spült, hat diese Form der Vermarktung einen enormen Stellenwert im Haushaltsplan der Vereine. Nicht zuletzt deshalb müssen immer neue Spieler mit möglichst klingenden Namen her, um den globalen Absatz am Laufen zu halten.
Die Spielerbrust ist selbstverständlich der beste Platz für den Namen und das Logo des Klubsponsors. Seit der legendären ersten Werbung für Jägermeister auf den Hemden von Eintracht Braunschweig regt sich kein Mensch mehr darüber auf. Der FC Barcelona und Athletic Bilbao dürften jahrelang die beiden einzigen prominenten Vereine gewesen sein, die ohne Werbung aufliefen, weil sie sich als inoffizielle Nationalmannschaften Katalaniens beziehungsweise des Baskenlands verstehen. Und Nationalmannschaften haben nun mal keine Werbung auf dem Trikot. Noch nicht. Seit der letzten Spielzeit wirbt nun auch Barça - allerdings für die Unicef und ohne Geld dafür zu verlangen. Im Gegenzug spendet Barcelona für das Kinderhilfswerk und macht dadurch seinen Sonderstatus deutlich.
Für die neu anlaufende Saison hätten wir in puncto Kleiderordnung einige Vorschläge zu machen: Wie wäre es in Zukunft mit jahreszeitlich angepassten Trikotfarben? Im Frühjahr hell beschwingte Pastelltöne, im Sommer leuchtend feurige Farben, im Herbst und Winter dann eher die braun-grüne Schlammfarbenpalette. Und wann endlich spiegelt das Trikot dem jeweiligen Tabellenplatz des Vereins wieder? Optimistische Farbkombinationen bei einem Platz im oberen Drittel, Trikots in Grautönen für die sprichwörtlichen grauen Mäuse im Niemandsland der Tabelle und schließlich Trikots in gedeckten Farben mit schwarzen Trauerrand für die abstiegsgefährdeten Klubs.
Notorische Loser-Mannschaften wie Schalke 04 könnten allerdings auf die Idee kommen, das Erfolgsmodell der Neunziger-Nationalmannschaft nachzuahmen: den Gegner ästhetisch zu paralysieren, um endlich mal in den Besitz der Meisterschale zu kommen. Aber vermutlich wird sich der Meister der Schmerzen wieder nur mit dem Trostpreis zufriedengeben müssen. Denn diesmal hat der MSV Duisburg die besten Voraussetzungen, die nächste Saison als Meister zu beenden. Denn einem Ailton-Kugelblitz im Zebra-Dress werden die meisten Abwehrspieler wohl nur hypnotisiert beim Toreschießen hinterherschauen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“