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die wahrheitBernies böse Base

Manche Sprichwörter entbehren jeglicher Grundlage. Zum Beispiel: "Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit." Bernie, der Nachbarsjunge, ist zehn....

Manche Sprichwörter entbehren jeglicher Grundlage. Zum Beispiel: "Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit." Bernie, der Nachbarsjunge, ist zehn. Für sein Alter ist er erstaunlich gutgläubig. Er ist Fan des Dubliner Teams im Gaelic football, einer traditionellen irischen Sportart, die mit der viel jüngeren englischen Erfindung, dem soccer, nur entfernt verwandt ist.

Bernie kleidet sich stets im hellblau-dunkelblauen Trikot dieser Dubliner Mannschaft, er schläft in der entsprechenden Bettwäsche und trinkt seinen Kakao aus einer Fantasse. Neulich lief er durch die Nachbarschaft und posaunte herum, dass er schwul sei: "I am gay", krähte er aus vollem Hals zur Verblüffung der Passanten. Ein sehr frühes Coming-out? Mitnichten. Kathy, seine gleichaltrige, aber weniger naive Cousine, hatte ihm erklärt, dass die Fans der Dubliner Fußballmannschaft sich stolz als "gays" bezeichnen. Bernies Mutter brachte ihm schonend bei, dass ihn die böse Base belogen hatte.

Eine Lehre war ihm das nicht. Kurze Zeit später war Bernie ungewöhnlich still. Der Zustand hielt fast eine Woche an. Irgendetwas bedrückte ihn, aber aus ihm war nichts herauszubekommen. Schließlich brachte ihn sein Bruder zum Reden. Es sei etwas Schreckliches passiert, platzte es aus Bernie heraus. Es gebe ein riesiges Problem mit Oma. Die lebt auf Achill Island, einer Insel vor der irischen Westküste, auf der auch Heinrich Böll ein Haus besaß, in dem er einen Großteil seiner Werke verfasst hat. Kathy hatte Bernie erzählt, dass die Engländer versehentlich eine Atombombe auf die Insel geworfen hätten. Zuzutrauen wäre es ihnen ja durchaus. Bernie wagte nicht, seiner Mutter zu sagen, dass ihre Mutter bombardiert worden und höchstwahrscheinlich umgekommen sei. Sein Bruder, zwei Jahre jünger, aber zehn Jahre abgeklärter, tat das einzig Vernünftige in diesem Fall: Er rief die Oma kurzerhand an. Bernie wunderte sich, dass die Telefonleitungen noch intakt waren, und die Oma wunderte sich, warum Bernie sich nach dem Zustand der Insel erkundigte.

Manchmal aber sagt sogar Kathy die Wahrheit. Vorige Woche rannte sie aufgeregt die Straße entlang, im Schlepptau Bernie und zwei andere Kinder. "Wir müssen höchstwahrscheinlich ins Gefängnis", erklärte Bernie. War er wieder auf einen Schabernack von Kathy hereingefallen? Aber sie schien selbst ziemlich verzweifelt. Man habe Steine in den Garten einer älteren Dame geworfen. Die habe sie erwischt und drohe ihnen, dass sie die Polizei verständigen werde, die die Kinderbande zweifellos einsperren würde. "Im Gefängnis gibt es miserables Essen", sagte Kathy. "Das hat mir mein Vater erzählt. Er hat jahrelang nur Quetschkartoffeln mit Erbsen und Sauce bekommen." Er esse das ganz gerne, meinte Bernie, und die anderen Kleinkriminellen stimmten ihm zu. So verlor das Gefängnis plötzlich erheblich an Schrecken für die Gang. Man wird in Zukunft wohl noch einiges von ihr hören.

Dabei gilt eigentlich ein pommersches Sprichwort zur Abweisung vorlauter Kinder: "Kinner möten reden, wenn de Höhner pissen." Auf Hochdeutsch: "Kinder müssen reden, wenn die Hühner pissen."

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