die wahrheit: Schwabinger Krawall - Brüderlich getischt
Ein Stammtisch, sagt Herr Kellermann, trinkt einen Schluck Bier und macht eine bedrohliche Pause, "ist ein Stammtisch"...
... Das Wort "Stamm" sei entscheidend, weil ein Tisch, wo man nach Lust und Laune hingehe oder halt nicht, kein Stammtisch sei, sondern ein windiger Schmarrn.
Dass ein Mensch einen Stammtisch, der auf einen wöchentlichen Termin angesetzt sei, sporadisch besuche, sei ein Widerspruch in sich und komplett unmöglich. Und wer ein derartiges Verhalten zu rechtfertigen versuche, der sei im Grunde seiner Seele ebenfalls ein sporadischer Stammtischgänger, der Lust und Laune über ein Mindestmaß an Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit stelle, und habe an einem ordentlichen Stammtisch nichts verloren, sondern solle sich mitsamt seinen Gesinnungsgenossen verzupfen, und zwar am besten auf der Stelle, weil er, Herr Kellermann, ein gestandener Stammtischbruder sei, dem bei so etwas leicht einmal die Hand ausrutschen könne, und wen die Watschen dann treffe, sei ihm egal, selbiger könne jedoch davon ausgehen, dass er sich mindestens vierzehn Tage im Kreis drehen werde.
Herr Reithofer, dessen einleitende Bemerkung, sein ehemaliger Amtskollege und Stammtischmitbegründer Hundhammer werde an diesem Freitag nicht erscheinen können, den Zornausbruch verursacht hat, nutzt den Moment des Kellermannschen Luftholens, um hinzuzufügen, nämlich sei der gute Hundhammer am Mittwoch im 82. Lebensjahr verstorben, plötzlich, aber nicht ganz unerwartet, bei dem, was er so gesoffen habe.
Einige der Anwesenden nicken betroffen, und auch Herr Kellermann ist einen weiteren Augenblick lang stumm, trinkt sein Glas leer, bestellt ein neues und sagt: Soso, der gute Hundhammer habe Herrn Reithofers Meinung zufolge also sich selbst sozusagen ins Grab gesoffen. Falls Herrn Reithofer seine, Herrn Kellermanns Meinung interessiere, könne man einem anständigen Mann nicht vorwerfen, dass er ein Bier trinke, zumal am Stammtisch, wo gestandene Männer zusammensäßen, die ein Bier trinken und aber sicher nicht über Nichtanwesende Schmähreden führen. Ein Stammtisch nämlich sei keineswegs bloß ein Tisch, wo sich jedermann hinsetzen könne und dürfe, sondern an einem Stammtisch hätten eherne Gesetze Gültigkeit, zualleroberst die Grundregel, dass man nicht dumm daherzureden hat über anständige Männer, die zueinander stehen und denen über einen Stammtischbruder nie ein schlechtes Wort über die Lippen käme. Wenn sich einer dazu aufschwinge, einem über all die Jahre stets treuen und ehrbaren Kameraden hinter dessen verstorbenem Rücken ins Grab zu spucken, dann sei das Maß voll und der Ofen aus und der Augenblick gekommen, wo er, Herr Kellermann, für nichts mehr garantieren könne, "für überhaupt nichts, verstanden!"
Als Frau Reithofer ihren Mann fragt, warum er heute so ungewöhnlich früh vom Stammtisch zurück sei, ohne Hut und mit blutverschmiertem Hemd, und was er mit dem abgebrochenen Stuhlbein in der Hand vorhabe, fällt seine Antwort knapp aus: Sie solle nicht blöd fragen, weil ihm sonst am Ende noch was einfalle, was sie ganz bestimmt nicht wissen wolle.
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