die wahrheit: Rein in die Puschen, raus aus aus den Puschen
Als seriöser Freizeit-Kulturwissenschaftler ist man verpflichtet, dorthin zu gehen, wo es weh tut und mitunter streng riecht...
...So erfährt man bekanntlich in Theatern und Museen nichts über unsere Gesellschaft. Zumindest nichts Interessantes. Erhellend sind vielmehr die Informationen, die aus Vereinsheimen, gymnasialen Lehrerzimmern, Betriebskantinen oder von Asi-Trinkhallen herüberwehen. Oder aus Schuhschränken. Hier verweist der Mikro- auf den Makrokosmos.
Unbedeutend ist dabei jedoch, was die Bevölkerung außerhalb ihrer Wohnungen am Fuße trägt. Hier regieren die Stiefgeschwister "Mode" und "Praktikabilität". Wobei das hässliche Entlein Praktikabilität meist die Oberhand behält. Zumindest in Deutschland: Wenn es kalt ist, sind dicke Botten angesagt, im Sommer Sandalen. Woanders ist es anders: So tragen englische Frauen bei Schneeregen gern zehfreie Riemenstöckler und im Hochsommer kniehohe, derbe Lederstiefel zu pornotauglichen Kurzröcken. Da ist man einen Moment lang verwirrt, freut sich dann aber darüber, dass sich echte Menschen benehmen wie Romanfiguren - in diesem Fall wie die "Contras" aus "Little Big Man", die bekanntlich alles verkehrt herum machen.
Wirklich faszinierend wird es, wenn man ohne Scham tief in die Privatsphäre der Menschen eindringt und betrachtet, in was sie zuhause hineinfüßeln.
Mir selbst ist aufgrund familiärer Prägung das "Konzept Hausschuh" bis heute fremd. Mein arabischer Vater trug zuhause nur Socken und meine Mutter entstammt einem hessischen Bauerngeschlecht, in deren Behausungen die Unterscheidung zwischen Stall und Wohnküche traditionell nur marginal ist - und es insofern überhaupt keinen Sinn hat, das Schuhwerk zu wechseln. Dann aber begegnete ich im Laufe der Jahre Menschen, die outdoor die coolsten Säue waren und - je nach Epoche - in Wildleder-Fransenstiefeln, Cowboyboots, hippen Sneakern oder rahmengenähten italienischen Maßschuhen herum liefen, indoor aber einem Spießertum und ästhetischen Selbsthass unbeschreiblichen Ausmaßes huldigten. Was musste ich da alles sehen: Filzschlappen, unförmige Wollstrümpfe, vom Fußschweiß verfärbte Birkenstocksandalen, Hüttenschuhe, fleckige, hinten heruntergetretene Espadrilles
Aber wann immer ich dieses Thema aufbrachte, schlug mir vollkommenes Unverständnis und Aggression entgegen. Selbstverständlich trüge man in der Wohnung Hausschuhe, was denn sonst? Ob ich mit meinen Straßenschuhen etwa auch ins Bett ginge? So wird man behandelt, wenn man den Finger in die Wunde legt!
Ein einziges Mal zog ich aus meiner Hausschuh-Skepsis einen persönlichen Nutzen. Als sich eine junge Dame dereinst zwischen mir und einem Mitbewerber entscheiden musste, gab sie ihm den Vorzug, verließ meine Wohnung, um direkt zu ihm zu gehen. Nach einer halben Stunde klingelte es an meiner Tür. Ich öffnete und sah die Frau meines Herzens vor mir stehen. Sie schüttelte den Kopf und sagte: "Es ging nicht. Als er die Tür aufgemacht hat, hatte er Cord-Puschen an den Füßen!" Ich sagte: "Verstehe. Komm rein." Dann waren wir acht hausschuhlose Jahre ein Paar.
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