die wahrheit: Gefährliche Himmelsbiene
Heruntergekommene Berufe. Heute: die Flugbegleiterin (Kaffeetante)
Meine erste Traumfrau hieß Ingrid Steeger. Sie erschien mir im Hildesheimer Bahnhofskino. Ich hatte bis dato noch keine nackte Frau gesehen, und Freund Ivo, dessen großer Bruder die Kasse des übel beleumundeten Etablissements bediente, meinte, es würde mal Zeit.
Ich war 14, und die Steeger war Jenny, "Die Stewardess". Sie trug ein neckisches blaues Käppi mit einer Art Lufthansa-Logo und eine prächtig sitzende Uniform. Die hat sie aber gleich nach dem Abheben wieder auszogen, um auf der Bordtoilette einem Geschäftsmann an die Wäsche zu gehen. In den nächsten 80 Minuten hatte die Stewardess Geschlechtsverkehr mit einem Schweizer, drei Bayern und zwei Berlinern. Einen Verlobten hatte sie auch. Das war der Copilot. Mit dem trieb sie es in Rom, während sich ihre Kollegin Nancy in Istanbul amüsierte.
Als ich das Kino verließ, brummte mir vor lauter Brüsten und Schenkeln der Schädel. Aber ich wollte nicht mehr Günter Netzer, sondern Copilot werden. Erst recht, als ich kurz darauf "Airport 75" mit der auch in stets geschlossener Uniform wunderschöne Karen Black sah. Als die Piloten durch einen Unfall außer Gefecht gesetzt werden, hält sie ihre Nerven im Zaum und die Maschine ganz allein auf Kurs. Ja, höchst erstrebenswert erschien dem pubertierenden Kleinstadtbuben die weite Welt der Flugbegleiterinnen, die, als ich zwei Jahre später erstmals in einem Flugzeug saß, auch tatsächlich so aussahen wie Karen Black und die Steeger, sich allerdings zu meiner leisen Enttäuschung tadellos benahmen.
Nun, das ist lange her, und der Glanz der Aeronautik hat sich wie so vieles im Leben relativiert. Genau genommen gibt es heutzutage nur wenige Gewerbe, die so heruntergekommen sind wie die Luftfahrt. "Herunter kommen sie alle", lautet ein branchenspezifischer Spott, doch das Image der Flugbegleiter hat unter dem schurkischen Regiment der Billigflieger eine satte Bruchlandung hingelegt. Am augenfälligsten auf dem Feld der Ästhetik. Gleichberechtigung hin oder her: Piccolo und Dosenravioli verteilenden Herren ist nun einmal nicht gegeben, dem erdverbundenen Menschen jene Geborgenheit zu vermitteln, auf die er 10.000 Meter über dem Meeresspiegel und lediglich durch eine papierdünne Aluminiumwand getrennt vom eisigen Tod einen Anspruch hat und die so nur dem weiblichen Wesen eignet, wobei auch hier der Steegersche Liebreiz mittlerweile bis ins wieczorek-zeulhaft Kaffetantige abgeschliffen wurde.
Dagegen wäre eigentlich nichts einzuwenden, müssten die reifen Damen ihren Job nicht unter Arbeitsbedingungen verrichten, welche jeden chinesischen Industriekuli in den Dauerstreik treiben würden. Tiefe Einblicke in das Sklavendasein ermöglichte jüngst die BBC-Dokumentation "Caught Napping" (Im Schlaf erwischt). Sie zeigt nicht nur Stewards, die im Dienst vor Übermüdung einschlafen, sondern auch fingierte Abschlussprüfungen, ausgefallene Instrumente, kaputte Notrutschen und Erbrochenes auf dem Kabinenboden. Womit wir schon bei der schlimmsten Geißel der Flugbegleiterin wären: den Passagieren.
Mal ganz abgesehen davon, dass unter jedem Business-Anzug ein Al-Qaida-Repräsentant lauern kann, ist auch der gemeine Fluggast längst zur unberechenbaren Zeitbombe mutiert. Eingepfercht wie Mastputen, gepeinigt und zerrüttet von Blutstau, Flugangst, Komasuff und Nikotinentzug rottet er sich regelmäßig zum pöbelnden, außer Rand und Band geratenen Mob zusammen, der das Personal unter Flüchen und fürchterlichen Gesängen terrorisiert.
Unter ähnlich dementen Stresssymptomen leiden inzwischen sogar die Piloten, wie der Fall jenes britischen Kollegen beweist, der im Cockpit seine Genitalien fotografierte. Anschließend stellte er die Bilder seines "Jumbos" ins Internet.
Wie schlimm es um die mentale Konstitution mancher Flugkapitäne bestellt ist, beweist dieser Dialog aus einer Alitalia-Maschine, der ein Blitzschlag das halbe Cockpit lahmgelegt hatte. Pilot: "Bei uns ist fast alles ausgefallen. Nichts geht mehr. Selbst unser Höhenmesser zeigt nichts mehr an " Nach fünf Minuten des Lamentierens meldet sich der Pilot einer anderen Maschine: "Halts Maul - und stirb wie ein Mann!"
Dass sich die Flugbegleiterin von solchen Eierköpfen als "Düse", "Streifenhörnchen" bis zur despektierlichen "Saftschubse" beschimpfen lassen muss, macht die Sache nicht besser. Aus Verbitterung werden Exstewardessen dann selber oft zur Gefahr für die Gesellschaft. Vor wenigen Wochen schaffte es ein alkoholisiertes Exemplar aus Atlanta erst in die Arrestzelle, dann in die "CBS-News", weil sie drauf und dran war, die Passagiere zu verprügeln.
Andere werden Emma-Chefin wie Lisa Ortgies, Talkruine wie Sabine Christiansen, Vorsitzende der hessischen SPD wie Andrea Ypsilanti oder sie verhängen ganze Reichstage wie Jeanne-Claude Christo. Also meine Damen: Finger weg von diesem heiklen und weit heruntergekommenen Beruf!
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