die wahrheit: Neues aus Neuseeland - Latte schlägt Kaffee
Kam man vor zehn Jahren aus einem Land, das "draußen nur Kännchen" kannte, in ein Land, das unter Kaffee ausschließlich lösliche Instantbrühe verstand, dann...
... konvertierte man unweigerlich zum Teetrinken. Wobei auch diese gute englische Sitte in kiwianischer Variante gewöhnungsbedürftig ist: Ein Teebeutel voll Schwarztee wird reihum kurz in die bereitgestellten und mit heißem Wasser und Milch gefüllten Becher getunkt, bis das weiße Gemisch etwas Farbe angenommen hat. Den fehlenden Geschmack ersetzt man durch zwei Löffel Zucker.
Diese unkultivierten Zeiten sind lange vorbei. Also nach neuseeländischer Zeitrechnung keine zehn Jahre, und entsprechend groß ist die Begeisterung für alles, was nicht aus dem Pulver-Glas kommt. Echter Kaffee ist der Inbegriff kulinarischer Versiertheit. Kein Café, das den Namen verdient, wagt es, irgendeine Flüssigkeit aus der Filtermaschine zu servieren. Nein, man hat eine gastronomische Espresso-Anlage, und an der wird herumgewirbelt, als sei es das Pult des angesagtesten DJs. Und genauso benehmen sie sich auch, die Barista der Südhalbkugel: cool, verwegen, unnahbar. Sie sind die Stars unter den Dienstleistern und verströmen das Flair ferner Metropolen. Ohne diesen Hauch von Hipnesss könnten sie keine Milch aufschäumen.
In Lyttelton, meinem Neuheimathafenort, hat die geschmackvoll derangierte "Lyttelton Coffee Company" eröffnet, wo Samstagvormittag Livemusik gespielt wird und man in der Woche einfach nichts erlebt hat, wenn man nicht dort war. Seitdem hat mein Leben wieder Sinn und die Hälfte aller Frauen Lytteltons, mich eingeschlossen, ein neues Hobby: Beim Barista anstehen. Unser Liebling ist James, der sich rühmen kann, ein Straßencafé in London aus der Taufe gehoben zu haben. Manchmal trägt er ein Stirnband um die verschwitzen und zerzausten Haare, was ihm gut steht. Dicht gefolgt von Kyle, mit Irokesenschnitt, der die letzten Monate in Berlin verbrachte. Ich habe eine Freundin, die nur ins Café kommt, wenn James zapft. Sie kennt seine Schichten. Angeblich schmeckt sein Kaffee besser. So viel Extravaganz muss sein.
Milchkaffee heißt jetzt nur noch "Latte". Doch wie man den italienisch ausspricht, hat sich noch nicht überall rumgesprochen. Neulich fuhr ich durch Reefton, einem einstigen Goldgräberstädtchen an der Westküste, wo sich Opossums und Igel gute Nacht sagen. Ein Aufputschmittel musste her. Im erstbesten rustikalen Schnellimbiss fragte ich nach "Coffee". "Oh, wir haben diesen LA-TE-I," sagte der leicht verwildert aussehende, aber umso freundlichere Imbissbesitzer, der mit den Baristas von Lyttelton so viel gemein hat wie Amy Winehouse mit Kiri Te Kanawa. Der Mann strahlte vor Stolz, entblößte nikotinbraune Zahnstummel und zeigte auf eine lilafarbene Science-Fiction-Maschine hinter sich. "Geht ganz von selbst!" Mit fahrigen Händen - wahrscheinlich akuter Alkoholmangel - stellte er einen Pappbecher in die Öffnung des Apparats. Per Knopfdruck ließ sich wählen, ob "Latte" pur, mit Zucker oder mit Kakao herausströmen sollte. Er drückte. Es zischte. Ich zahlte und probierte. Es war Instantkaffee. Ungenießbar, lauwarm, aber herzerwärmend altmodisch.
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