piwik no script img

die wahrheitFalscher Text zur rechten Zeit

Heute will Österreich eine verhunzte Nationalhymne gegen Deutschland einsetzen.

Da fasst sich nicht nur Sarah Connor an den Kopf, wenn sie "Brüh im Lichte" als Nationalhymne trällert. Bild: ap

Heute Abend schaut ganz Österreich mit Spannung auf das Fußball-Länderspiel gegen Deutschland. Wird das Team Austria seinem Hang zum Grottenkick kompromisslos weiterfrönen? Wenn ja, sieht es schlecht aus um das EM-Gastgeberland, denn nach der Partie wird in einem Telefonvoting entscheiden, ob die von der Bürgerinitiative "Österreich zeigt Rückgrat - Initiative österreichfreie Euro" geforderte Rückgabe des EM-Startplatzes als offizieller Antrag bei der Uefa eingereicht wird. Die letzten Meinungsumfragen im Alpenland gehen von einem Pro-Rückgabe-Votum aus.

Mit einem Überraschungscoup wollen die Besitzstands-Ösis die nationale Schande jedoch zu verhindern versuchen. Die Anregung kam ihnen, als sie am 21. November 2007 sahen, wie England im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Kroatien sein blaues Wunder erlebte. Dort hatte Star-Tenor Tony Henry beim Intonieren der kroatischen Nationalhymne einen Buchstaben verwechselt, was den lyrischen Erguss "Du weißt, mein Liebling, wie wir deine Berge lieben" in den poetischen Donnerschlag "Meine Liebe, mein Penis ist ein Berg" verwandelte. Daraufhin gingen die kroatischen Spieler derart belustigt und aufgelockert ins Spiel, dass sie die Engländer sensationell mit 3:2 schlugen und um die EM-Teilnahme brachten. Der Wunsch der Kroaten, dass Tony Henry sie als Glücksbringer beim EM-Turnier begleiten solle, brachte den österreichischen Fußballverband endgültig auf die Idee zur Nachahmung.

Nach einer Sitzung des Verbandes bekam André Heller den Geheimauftrag, ein kleines Kulturprogramm vor dem Spiel zu kreieren, in dessen Mittelpunkt die deutsche Nationalhymne steht. Sie soll vom Interpreten subtil verhunzt werden, so dass die stolzen deutschen Hymnenmitsinger verkrampfen und die Austria-Burschen vor lauter Schadenfreude locker werden und im Spiel über sich hinauswachsen. Dass die Kickerpiefkes anfällig sind, zeigte sich bereits 2005 beim Eröffnungsspiel der Münchner Allianz-Arena. Nachdem die Delmenhorster Chanteuse Sarah Connor in einer spontanen Laune das "Lied der Deutschen" teilweise umgedichtet hatte ("Brüh im Lichte dieses Glückes"), verlor die Nationalelf prompt 2:4 gegen den FC Bayern.

Weil sich Sarah Connor trotz aller Charme-Avancen von André Heller weigerte, ein zweites Mal zur deutschen Vaterlandsverräterin zu werden, hat Heller jüngst ein geheimes Casting für Hymneninterpreten veranstaltet. Unter den Juroren war auch Franz Beckenbauer ("wegn saner Hoammerspruiche"), der nicht mal lange gebeten werden musste. Zum einen war er seinem Freund Heller noch was schuldig, seit dessen Eröffnungsgala bei der WM 2006 durch die Fifa abgesagt wurde. Außerdem verfolgt der Kitzbühler Weltbürger Beckenbauer insgeheim eigene Absichten zur Umdichtung der deutschen Nationalhymne. Deren Melodie stammt bekanntlich vom Österreicher Joseph Haydn, der die Komposition im Auftrag der Habsburger Monarchie schuf und "Gott erhalte Franz den Kaiser" nannte. Seit Kaiser Franz erfuhr, das dies die ursprüngliche Version des "Liedes der Deutschen" ist, versucht er sie wieder salonfähig zu machen und tut alles, den Hymnentext Hoffmann von Fallerslebens zu desavouieren.

So erklärt sich auch, weshalb der tschechische Schlagerstar Helena Vondrácková vor dem EM-Spiel Tschechien gegen Deutschland 2007 in Prag plötzlich zwei Zeilen des deutschen Hymne zu singen vergaß. Man munkelt, Franz soll die blonde Sängerin mit einer Einladung zur Weihnachtsfeier des FC Bayern rumgekriegt haben. Gelohnt hat es sich freilich nicht, die Deutschen gewannen am Ende überraschend mit 2:1.

Bei einigen jungen deutschen Nationalspielern ist es mit der Textkenntnis aber sowieso schon nicht mehr weit her. So lief Lukas Podolski bei der Weltmeisterschaft 2006 mit einem Fußballstiefel auf, der (neben den deutschen Farben auf dem äußeren Leder) innen im Fersenbereich den kompletten Text der Nationalhymne eingedruckt hatte. Warum gerade Podolski die Zeilen an die Hacken bekam, ist nicht überliefert. Zwar wurde der Bursche oft als etwas schlichter Geselle verhöhnt, aber als Spickzettel beim Mitsingen vor dem Spiel taugte die Schuheinlage nun auch nicht so gut.

Vom Mitsingen können die Spanier nur träumen und tun das auch. Allerdings ist ihr Versuch, ihre Nationalhymne mit einem Text zu versehen, bisher jämmerlich gescheitert. Bei "Spanien sucht den Superhymnentext" kam nur Murks heraus. Leider hat der spanische König auch den Wahrheit-Vorschlag "Olé, wir fahrn in Puff nach Barcelona" abgelehnt.

Das hat sich bis zur André-Heller-Kommission herumgesprochen. Noch ist nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, aber Eingeweihte schwören, bereits eine erste Zeile zur Haydn-Musik im DJ-Ötzi-Mix gehört zu haben. Heute Abend 20.15 Uhr werden wir ja hören, was die Nachbarn mit dem Lied der Deutschen angestellt haben. Aber selbst für den Fall, dass das Komplott schiefgehen sollte und die österreichische Mannschaft ihre EM-Teilnahme zurückziehen sollte - für die Rettung des musikalischen Niveaus der Europameisterschaft ist es zu spät. Es steht fest, dass Christina Stürmer, wahrscheinlich wegen ihres fußballaffinen Namens, die offizielle EM-Hymne singen wird. Premiere hat sie im März vorm Spiel gegen Holland. Arme Holländer, glückliches England.

GUNNAR LEUE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!