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die wahrheitDeutsche Kulturbeuteleien

Über die Unmöglichkeit, eine Satire auf das Turbo-Abitur zu verfassen.

Die Satire ist eine Kunstform, die durch beißenden Spott Personen oder Zustände kritisiert und sie der Lächerlichkeit preisgibt. Auf die deutsche Bildungspolitik ist die Satire allerdings nicht anwendbar, da sich die Kultusminister permanent selbst der Lächerlichkeit preisgeben.

Zur Erinnerung: Die Pisa-Studie hat gezeigt, dass deutsche Schüler dumm sind. Aus diesem Grunde haben die Kultusminister fast aller Bundesländer das Schulsystem geändert, zumindest am Gymnasium. Wenn man zu wenig weiß, muss man eben mehr lernen. So war das früher, so ist das selbstverständlich auch heute noch. Und deshalb haben die Politiker die Schulzeit des Gymnasiums um ein Jahr … - äh, verkürzt?! Aha.

Ein Grund für die Einführung der kürzeren Gymnasialzeit lag darin, dass sich der deutsche Abiturient im globalen Wettbewerb besser behaupten soll - oder so ähnlich. Also will etwa die Kultusministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Barbara Sommer, den Lehrplan entrümpeln. Damit sich der Sauerländer Abiturient im internationalen Umfeld von Lüdenscheid besser durchsetzen kann, wird ihm weniger Fremdsprachenunterricht verordnet. Zwar kann er sich dann in Zukunft nicht mehr mit Engländern und Franzosen verständigen, ist aber dafür bibelfest, denn der Lehrstoff im Fach Religion soll unangetastet bleiben. Und das ist schließlich die Hauptsache, weil der Glaube bekanntlich Berge versetzen kann.

Damit die Schüler wieder zu vielen guten Noten kommen, hat Barbara Sommer außerdem in diesem Schuljahr die lang vermissten Kopfnoten eingeführt, sechs an der Zahl. Dies führte naturgemäß bei den Pisadummköpfen aus der letzten Reihe zu Jubelstürmen. Denn ein Schüler kann allein dadurch sechs Zweien ergattern, wenn er freiwillig die Tafel wischt und dem Lehrer die Tasche hinterherträgt.

Die offizielle Begründung für die Einführung der Kopfnoten lautete, dass die soziale Kompetenz in der Gesellschaft einen besonderen Stellenwert besitzt. Deshalb solle selbige auch auf dem Zeugnis vermerkt werden. Den ewigen Nörgler verleitet das allerdings zu der Frage: Was zum Teufel hat soziale Kompetenz beispielsweise im Mathematikunterricht zu suchen? Nur Autisten werden Mathematikgenies! Nicht ohne Grund sind an den Universitäten die Feten der Mathematiker bereits um 21 Uhr vorüber - obwohl dort ein prima Kakao ausgeschenkt wird.

Doch noch einmal zurück zu den Kopfnoten, und da zu den beiden verwegensten: "Kooperationsverhalten" und "Zuverlässigkeit". Wie sich diese wissenschaftlich eindeutigen Kriterien in ein Zeugnis gießen lassen, sei einmal exemplarisch am Fall des Klosterschülers Klausi Zumwinkel (Name von der Redaktion geändert) erläutert. "Kooperationsverhalten": sehr gut, da Klausi jederzeit mit der Staatsanwaltschaft kooperiert hat. "Zuverlässigkeit": sehr gut, weil Klausi pünktlich an jedem Ersten des Monats einen Batzen Geld per Blitzkofferüberweisung an eine wohltätige Stiftung in Liechtenstein transferiert hat. Bei einem solchen Musterschüler lacht das Herz eines jeden Lehrers.

Da der Autor dieser Zeilen gern Satiren schreibt, ist es nur zu verständlich, dass er über die deutschen Bildungspolitiker ziemlich verärgert ist. Andererseits hätte er mit einer Satire wesentlich mehr Arbeit gehabt als mit diesem Beitrag, in dem er lediglich die Turnbeuteleien aufzulisten brauchte, die die Kultusminister der Bevölkerung als Reformen unterjubeln wollen. Deshalb möchte der Autor aus Dankbarkeit die Hälfte seines Honorars einem Politiker spenden - am besten Helmut Kohl. Aber nur, wenn er den Namen des Spenders nicht nennt.

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