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die wahrheitDas bildschöne Sterben des Helmut Kohl

Seit rund einer Woche kursiert in politischen und publizistischen Kreisen eine Nachricht, die sofort hektische Aktivitäten auslöste: Helmut Kohl soll im Sterben liegen...

Seit rund einer Woche kursiert in politischen und publizistischen Kreisen eine Nachricht, die sofort hektische Aktivitäten auslöste: Helmut Kohl soll im Sterben liegen. Kohl hatte sich einer Knieoperation unterzogen und war dann in seinem Haus in Oggersheim schwer gestürzt. Wegen eines Hirn-Schädel-Traumas, das er sich bei dem Sturz zuzog, mussten ihn die Ärzte operieren. Am vergangenen Sonntag wäre er beinahe gestorben, mit dem Tod Kohls müsse jedenfalls jederzeit gerechnet werden, heißt es.

In den Redaktionen setzte die übliche Betriebsamkeit ein: Es wurden nichtalltägliche Übermittlungskanäle in die Nähe des Geschehens geöffnet, Nachrufe wurden aktualisiert, Biografen befragt, Historiker um ihre Einschätzungen gebeten, kundige Autoren mit Artikeln zu besonderen Aspekten im Leben und Wirken des Politikers beauftragt. Alles ging seinen gewohnten Gang.

Man mag diese Geschäftigkeit im Angesicht des Todes für pietätlos halten, aber zum gegebenen Zeitpunkt erwarten nicht nur die Leser eine professionelle Arbeit unter der Devise: Wie nehmen wir eine öffentliche Person wahr, die unser Leben mindestens in den sechzehn Jahren seiner Kanzlerschaft entscheidend mitgeprägt hat?

Ein abwartendes Schweigen legte sich über die Republik. Bis Bild kam. Am Dienstag schlagzeilte das Blut-und-Sperma-Blatt auf seiner Seite eins: "Helmut Kohl (78) heiratet!" Die Zahl der Jahre und das Ausrufungszeichen sollen den Altersunterschied betonen, dass ein betagter Mann eine 35 Jahre jüngere Frau heiraten will. Selbst in einem solchen Moment können die Gossenpisser von Bild die sexuelle Konnotation nicht unterdrücken. Wobei Kohl noch froh sein kann, als omnipotenter Übervater in seinem Hausblatt zu erscheinen, jedem anderen hätten die Bild-Macher eine ihrer Totschlagzeilen hinterhergeworfen: "Kohl fällt auf Kopf - hirntot!"

Davor sei der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, der nicht nur ein Kohl-Biograf ist, sondern sich auch für eine Art Adoptivsohn hält. Weshalb Diekmann so tut, als ob er mit am Krankenbett sitzt und nun eine freudige Nachricht verbreiten kann: Plötzlich will Helmut Kohl heiraten. Eine Verkehrung, die schlichtweg obszön ist, sollte Kohl tatsächlich gerade im Koma liegen und mit dem Tod ringen.

Noch eine Spur widerlicher aber ist die Bild-typische ejaculatio praecox. Bild wollte unbedingt als Erste vor der erwartbaren Flut der Nachrufe mit einer Kohl-Geschichte auf dem Markt sein. Also baut sich das Boulevardblatt eine verkitschte Seifenopernkulisse auf mit einer jungen Braut an der Seite des Schwerkranken, damit die mögliche Todesnachricht auf unbedarfte Leser später noch intensiver wirken kann.

Unter dieser süßlich klebrigen Scheinheiligkeit von Bild begraben zu werden, hat selbst der Altkanzler nicht verdient. Und das ist der einzige Grund, an dieser Stelle eine Pietätsgrenze zu überschreiten, die einen eigentlich verpflichtet, nicht vor dem Tod eines Menschen über seinen Tod zu schreiben. Dass man aber ausgerechnet Helmut Kohl einmal in der taz gegen Bild in Schutz nehmen muss, das hätte man sich früher auch nicht träumen lassen.

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5 Kommentare

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  • OP
    Olaf Petzold

    Typisch BLÖD-Zeitung - das Haus- und Hofschmierenblatt der Dynastie KOHL will uns wohl verKOHLen, oder was?! Armer Helmut, das hast du nun wirklich nicht verdient - diese BILD'sche Nestbeschmutzung!

  • A
    Alster

    Halleluja!

  • P
    Pscheidl

    Ein bisschen pietätslos ist das ja schon. Trotzdem sei die Frage erlaubt: Wäre es nicht nobler Herrn Kohl als Witwer sterben zu lassen und damit könnte die junge Frau Lebensgefährtin dem verschuldeten Staat - und Herr Kohl hat sicher einen guten Teil der Schulden verantwortlich verursacht - die sicher üppige Witwenpension zu ersparen. Wir Steuerzahler und wir von Steuern zwangsläufig Abhängigen wären ihr dafür dankbar. Verzicht und dafür ein Bundesverdienstkreuz - natürlich ohne kostspielige Feier, dafür aber jede Menge kostenlose PR für den gemeinnützigen Verzicht des Trauscheins!

  • A
    Annesofia

    Liebe taz,

     

    danke für den Kommentar.

    Ich bin ziemlich entsetzt über Kai Dieckmann. Der würde für eine gute Schlagzeile sogar seine eigene Mutter verkaufen.

     

    Herrn Reyntjes sollte sich schämen.

     

    Ich war nie ein Freund von Helmut Kohl, aber über Menschen, die Angesichts des Todes stehen, macht man keine Witze.

     

    Abgeshen habe ich gar nicht vestanden, was der Witzbold dem Dichter da sagen wollte.

     

    Viele Grüße

    Annesofia

  • AR
    Antonius Reyntjes

    Wann meldet sich der erste Deutsch-Deutsche, der ersatzweise für Kohl sterben will?

     

    Er kriegt dann einen Kardinals-Purpur-Sterbemantel, mit vielen Täschchen mit Malteser-Kreuz-Druckknöpfchen: für gloria, fortitudo, temperantia ... und stultitia (ersatzweise für "prudentia"; das merkt sowieso keiner; Latein wird nur noch showweise abgesondert).