die wahrheit: Käsebau in aller Munde
Geschmackvolle Architektur: Der älteste Baustoff der Welt wird wiederbelebt.
"Riechen Sie, wie es duftet!" Für den Architekten Michael Weingarten ist das eine der großen Stärken des Letzigrund-Stadions in Zürich. Die EM-Spielstätte mit der gelb schimmernden Außenhaut sieht nicht nur aus wie ein riesiger Käselaib. Es ist ein riesiger Käselaib. Bester Schweizer Emmentaler mit dem typisch nussigen Aroma, innen ausgehöhlt für Spielfeld und Tribünen, in den typischen Löchern sind die VIP-Lounges untergebracht.
"Käse mit seiner jahrtausendealten Geschichte ist nicht nur einer der ältesten Baustoffe", betont Weingarten, "sondern auch einer der besten. Auch filigrane Trägerkonstruktionen können stark belastet werden, das spart Platz und schafft Transparenz." Von der Flexibilität von Käse, seiner Fähigkeit, sich zu integrieren und zu verbinden, redete vor dem spektakulären Erfolg des Letzigrund-Stadions kaum jemand. Und doch ist es nur mit dem Baustoff Käse möglich, schlanke und transparente Bauwerke mit nahezu völliger Freiheit bei Design und Ausführung zu schaffen.
Spielt Käse bislang auch nur eine Nebenrolle als Baustoff, so ist doch der Käsebau ein hochinnovativer Bereich der Baubranche. In Deutschland gibt es derzeit rund 30 Konstruktionsbüros, die auf die unübertroffene Vielfalt des Werkstoffs Käse setzen. Beim Branchentreff Visions of Cheese wurden zahlreiche Projekte wie die Stadthalle in Nürnberg, das Kunsthaus Frankfurt oder die aus uraltem Gouda gefertigte Brücke in Rotterdam präsentiert, die zeigen, wie kreativ Käse eingesetzt werden kann. Das Bewusstsein für die Vorteile des natürlichen Baumaterials zu schaffen, ist eines der Ziele des Vereins Bauen mit Käse (BmK). Mit alten Vorurteilen will der Verband aufräumen. "Überholte Vorbehalte bezüglich Käse und seiner Schmelzsicherheit müssen aus der Welt geschafft werden", so Martin Bergmayer, geschäftsführender Direktor des BmK. Namhafte Partner aus dem Käsehandel und aus der Käseerzeugung konnten bereits gewonnen und gemeinsam eine Kommunikationsstrategie festgelegt werden.
Für die heimischen Käsebauer ist Deutschland ein hartes Pflaster. Denn im Hochbau dominiert immer noch der Massivbau - Käse wird nur zaghaft eingesetzt. "Historisch bedingt hinkt der Käsebau in Deutschland nahezu allen Nachbarländern hinterher", so Bergmayer. "Während in Österreich und den Niederlanden mehr als 40 Prozent der Bürogebäude als Käseplattenbau errichtet werden und in der Schweiz, dem Vorreiter im Käsebau, der entsprechende Anteil bei sagenhaften 90 Prozent liegt, kommt man in Deutschland gerade mal auf etwa acht bis zehn Prozent."
Dennoch gibt es allen Grund für Optimismus. Seit dem Medienecho auf das Schweizer Käsestadion ist auch hierzulande der Baustoff Käse in aller Munde. Trotz der steigenden Milchpreise konnten sich die Käsebauer aufgrund von prestigeträchtigen Aufträgen im In- und Ausland in den vergangenen Monaten gut behaupten. Die Exporte im Bereich Käsekonstruktionen stiegen in den vergangenen vier Jahren kontinuierlich an.
Schon als der Käse die Bühne des Bauens betrat, polarisierte er. Käsebauklassiker wie das Edamer Rathaus oder die Limburger Sternwarte erfreuen sich mittlerweile allgemeiner Beliebtheit. Und auch als Werkstoff der Gegenwart beeindruckt Käse Schöngeister wie Rechner am Bau. "Das Material hat eine archaische Wirkung, hat im Vergleich zu anderen Baustoffen Geschmack." Der Berliner Architekt Sven Boggen setzt neben diesen ästhetischen Aspekten auch aus praktischen Gründen gern auf den Werkstoff Käse. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. "Im Wohnungsbau ist die Kombination von hartem Käse mit Weichkäse sehr gut, um eine ,wohnliche' Atmosphäre zu schaffen", berichtet Boggen von einem aktuellen Projekt, bei dem eine ehemalige Fabrik in ein Wohnloft umgewandelt wird. "Weil der Baustoff Wasser aufnehmen und wieder abgeben kann, schafft er ein gesundes Raumklima." Dazu kommt noch seine Fähigkeit, sehr viel Wärme speichern zu können. Im Winter sind Käsehäuser warm und im Sommer kühl. "Während das Material früher vor allem industriell genutzt wurde, kommen jetzt auch Designinteressierte auf den Geschmack." Repräsentative Bauten werden deshalb auch in Deutschland verstärkt aus Käse errichtet.
Neben dem Chic hat der Baustoff auch ökonomische Vorteile: Durch die industrielle Vorfertigung aller Käsebauteile kann ein Bau zügig, witterungsunabhängig und plangenau abgewickelt werden. Wie schnell man eine Käsekonstruktion errichten kann, verdeutlicht ein prominentes Beispiel: Die Markthalle von Bologna wurde 1934 in einem Zeitraum von nur elf Monaten errichtet. Dabei wurden, bei einer Bauhöhe von 28 Metern, 60.000 Tonnen Käse verbaut. Kaum bekannt ist, weil man es den Bauwerken von außen nicht ansieht, dass 90 Prozent aller Häuser in der norditalienischen Stadt ein Skelett aus ultrahartem Parmesan besitzen.
Anpassungsfähig ist der Baustoff auch in ökologischer Hinsicht: Käsebauten sind äußerst lange haltbar und können am Ende ihrer Nutzungsdauer nicht nur leicht demontiert, sondern von den Bautrupps auch noch verzehrt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit steht der Baustoff Käse also an vorderer Stelle.
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