die wahrheit: Neues aus Neuseeland
Chinamann spricht aus dem Jenseits
Wer Entscheidungen zu fällen hat, sollte besser nicht in einer Kneipe neben Lou sitzen. Lou hat eine Schwäche fürs Spirituelle. Was das ist, weiß ich nicht genau - ob Kristalle, Engel, vegetarisch. Für Lou heißt es, viel über ihr Innenleben zu schwafeln. "Sharing" nennt sie das. Klingt irgendwie nach Aktien, und das das bringt mich dem Thema näher, das mich umtreibt: Ob ich einem großen Schwindel aufsitze oder uns das Geschäft unseres Lebens entgeht.
Der Fall ist rasch erzählt. Seit Jahren versuchen wir eine Datsche an der wilden Westküste zu kaufen. "Bach" heißt das Äquivalent zur Schrebergartenlaube, und wie die meisten, so ist auch diese einst illegal zwischen Straße und Meer errichten worden. Sie hat keinen Strom, das Wasser wird im Ofen geheizt, das Land gehört dem Staat. Dennoch werden Baches zu explodierenden Preisen verkauften. Als wir anfragten, ob unsere Lieblingshütte jemals zu kaufen sei, hieß es kategorisch: "No".
Doch am Freitag ruft der Besitzer aus heiterem Himmel an und will das Ding loswerden. Jetzt oder nie. Cash auf den Tisch. Keine Anwälte. Der Preis ist stattlich, und vielleicht ist das Geld in 20 Jahren futsch, weil der Staat die Straße erweitern will. Was tun als sicherheitsgewohnte Deutsche? "Am liebsten würde ich ein Orakel befragen", stöhne ich am Kneipentisch. Lou kommt in Fahrt.
"Du gehst morgen früh sofort zum Chinamann", bestimmt sie. "Keine Widerrede. Du verjubelst nicht euer Erspartes, ohne mit einem Medium gesprochen zu haben!" - "Wer ist Chinamann?" - "Ein weiser toter Chinese. Er wird von Bernie, einem Heiler, gechannelt. Frag ihn alles. Es stimmt!"
Am nächsten Morgen sitze ich bei Bernie im Hinterzimmer eines Kräuterladens. Ein kleiner Mann mit Fönfrisur. "Du hast so eine geisterhafte Energieströmung", strahlt er mich an. Geisterhaft? Ich zucke entgeistert zurück. "Eigentlich", murmele ich, "glaube ich gar nicht an so was." "Macht nichts", sagt Bernie. "Entspann dich." Er schließt die Augen. Seine Stimme verändert sich. Der Akzent ist chinesisch. Die Worte, obwohl aus tiefster Vergangenheit, klingen erstaunlich nach dem aktuellen Esoterikbestseller "The Secret" - pausenloses Mantra: "Frag das Universum, und das Universum wird es dir geben."
Ich frage. Bach kaufen oder nicht? "Kaufen, ja. Aber nur mit Anwalt", sagt Chinamann. Aber bleibt die Hütte dort stehen? "Noch 25 Jahre", orakelt Chinamann. Aber ist es dann sicher? "Nicht sicher." Und der Verkäufer, blufft der? Er sagt, er habe bereits ein Angebot auf dem Tisch. "Er lügt!", sagt Chinamann. So geht es hin und her. Ich habe noch Zeit und hechle meine Bekanntschaften durch. "Lou", sagt Chinamann, "kannst du vertrauen. Ein guter Mensch." Sie bringt ihm sicher viele Kunden.
Als die Geisterstunde vorbei ist, reicht mir Bernie eine CD - alles aufgenommen für die Ewigkeit. Wenig später geht uns die Traum-Bach durch die Lappen. Der Besitzer hatte tatsächlich ein Angebot. Es war kein Bluff. Ich werde in 25 Jahren vorbeifahren, um zu sehen, ob die Hütte noch steht. Ach ja, und die CD ist wirklich geisterhaft: Die Stimme einer fremden Frau stellt seltsame Fragen. Bernie hat mir die falsche Aufzeichnung mitgegeben.
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