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die wahrheitDer Horrorsommer 2008

Jetzt flippt sie völlig aus: Unsere Welt - wollen wir in ihr wirklich noch leben?

Andere Fische tarnen sich mit künstlichen Nasen oder Regenmänteln. Bild: reuters

Außer Rand und Band ist die Natur, und sei es auch nur in Berlin. Die erschütternden Funde unseres tapferen Chronisten beweisen: Diesen Sommer müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.

Im Schlachtensee werden Schwimmer von Fischen gebissen. Als "ein Fisch mit Bart" wusste eine Frau den Angreifer zu identifizieren (Tagesspiegel vom 4. 6. 2008). "Weil gegen Fische grundsätzlich nicht ermittelt wird", so das Blatt weiter, "führt die Polizei keine Statistik über Beißvorfälle."

Das hätte auch wenig Sinn, denn selten werden die Angreifer überhaupt als Fische wahrgenommen. Nur dem Scharfsinn des Opfers, dem es trotz erheblicher Schmerzen gelang, dem Fisch geistesgegenwärtig den falschen Bart herunterzureißen, ist der entscheidende Hinweis zu verdanken. Andere Fische tarnen sich mit Regenmänteln, künstlichen Nasen oder gar als Schwimmer, die die Badegäste unter Wasser sexuell belästigen. In geradezu krimineller Fahrlässigkeit wiegelt das Fischereiamt ab, es handle sich nun mal um Laichgründe und die Annäherung der Menschen in der Laichzeit "provoziere die Fische". Lächerlich!

Die Fische wollen uns demütigen; sie wollen unser Blut und Rache für "Jahrtausende Fischmord mit Netz und Angel". Die gemeldeten Beißvorfälle sind nur der Anfang, doch die Panikvermeidung mit Hilfe gezielt gestreuter Fehlinformation hat in Deutschland Tradition. So wird die Wahrheit über die, entgegen der öffentlichen Lehrmeinung, 1945 von einer als russisches U-Boot verkleideten Scholle versenkten "Wilhelm Gustloff" bis heute nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen.

Auf einem Radrundweg an der Krummen Lanke wird ein blutender alter Mann ohnmächtig neben seinem verbeulten Fahrrad aufgefunden. Im Krankenhaus nimmt die Polizei Folgendes zu Protokoll: Eine mit Sonnenbrille und Schlapphut vermummte Rotbuche sei plötzlich vor ihm auf den Weg gerannt und habe ihm eine Wurzel zwischen die Speichen gestoßen, woraufhin er zwangsläufig gestürzt sei. Ehe ihn das Bewusstsein verließ, konnte der Geschädigte noch ausmachen, wie der Baum "mit fiesem Lachen" zurück ins Unterholz verschwand.

Wegen der Maskierung und weil die Polizei nach wie vor keine Kartei straffällig gewordener Bäume, Blumen und Gebüsche führt, wird es unmöglich sein, das flüchtige Laubgewächs zur Rechenschaft zu ziehen. Die Bäume rechtfertigen ihre blindwütigen Aktionen gegen Unschuldige mit der "Rodung des Regenwalds". Und tatsächlich: Noch in derselben Nacht gehen beim Autoverleiher Robben & Wientjes in Neukölln von Hand fehlgeleiteter Sympathisanten 200 Fahrzeuge in Flammen auf.

Im Garten ihrer Villa am Kleinen Wannsee hört ein älteres Ehepaar am Himmel näher kommendes Motorengebrumm. Während der Mann schreiend ins Haus flüchtet, klinken die vermeintlichen Bombenflugzeuge ihre Ladung aus. Gerade noch kann sich die alte Dame aufs Nachbargrundstück retten, von wo aus sie zusehen muss, wie das Haus getroffen wird und bis auf die Grundmauern niederbrennt.

Aufgrund ihrer perfekten Tarnung wird den Marienkäfern niemand die Tat nachweisen können. Die alte Frau haben sie absichtlich am Leben gelassen. Es soll schließlich Zeugen geben, die die Botschaft verbreiten: "Töte niemals ein Insekt, denn es könnte auch dich töten!"

Fischhauben

Mehrere bärtige Fische mit Sturmhauben springen vor dem Prominentenrestaurant "Borchardt" am Gendarmenmarkt aus einem VW-Bus mit gefälschten Kennzeichen, belästigen Gäste, werfen Stühle um und verunreinigen auf dem Tisch stehende Fischgerichte mit eigens mitgeführter Froschpisse. Als die alarmierte Polizei eintrifft, sind die randalierenden Flossentiere längst verschwunden. Bis auf den gehörigen Schreck bleiben die Gäste unversehrt, nur ein Geschäftsführer wird leicht gebissen. Da es dafür keine Statistik gibt, gerät auch dieser Vorfall rasch unter den Mantel der Vergessenheit.

Lochsonne

Die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel. Ein dicker Mann, der nach dem Genuss dreier Biere auf einer Parkwiese einschläft, kann nur noch rot geborgen werden. Diesem vorgeblichen "Protest gegen das Ozonloch" schließt sich kurz darauf auch der Mond an: In der folgenden Nacht scheint er solidarisch nur zur Hälfte und auch nur äußerst blässlich.

Molchloch

Im Schutze der Dunkelheit gehen am Teufelssee zahlreiche mit Spaten bewaffnete Molche an Land. Im ersten Moment sieht es aus, als schaufelten sie ein gewaltiges Sommerloch, doch auf den zweiten Blick ist es ein riesiges Grab, unser aller Grab. Flora und Fauna laufen ungehindert Amok. Jeder Kieselstein wird uns verpfeifen, jede Ameise versuchen, uns festzuhalten. Sie werden uns kriegen, und dann gnade uns Gott!

ULI HANNEMANN

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