die wahrheit: Aus Sparschweinchens Poesiealbum
Ich bin sparsam, denn ich bin ein Kriegskind. Na ja, nicht im eigentlichen Sinne, alterstechnisch, sondern in ...
Ich bin sparsam, denn ich bin ein Kriegskind. Na ja, nicht im eigentlichen Sinne, alterstechnisch, sondern in der Generationenfolge. Da meine Mutter 1924 geboren wurde, hätte ich theoretisch auch 1942 auf die Welt kommen können. Praktisch erblickte ich aber erst 1964 das Licht der Welt, weil sich meine Eltern im hohen Alter dann doch noch einmal zum Geschlechtsverkehr entschlossen. Ich hoffe, sie taten es nicht nur um meiner willen.
So wurde ich von der Generation der Großeltern meiner Schulkameraden aufgezogen. Einer Generation, die ihre Erfahrungen aus der entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegszeit an mich weitergaben. Während meine Altersgenossen also Tri-Top tranken, "Brauner Bär" schlabberten, kaputte "Clicker" und anderes Spielzeug einfach wegschmissen und im Sommer nach Italien in den Urlaub fuhren, sahen meine Siebzigerjahre folgendermaßen aus: Schimmel wurde vom Brot weggeschnitten oder von der Marmelade abgelöffelt und dann: rein mit dem Zeugs!
Alte Seifenreste sammelte meine Mutter mit der Passion eines manischen Eichhörnchens und presste sie unter Hochdruck zu neuen, kunterbunten und olfaktorisch verwirrenden Patchwork-Waschklötzen. Restaurant-, selbst Stehimbissbesuche kannte ich nur aus dem Fernsehen; wenn man aus dem Haus ging und befürchtete, von Hunger und Durst überrascht zu werden, dann hatte man gefälligst eine Schmalzstulle und eine Thermoskanne mit ungesüßtem Muckefuck mitzuführen; "UHU" war für mich ein Begriff aus der Ornithologie; zum Papierkleben rührte ich in einem ausgewaschenen Joghurtbecher ("ohne Geschmack"!) ein wenig Mehl mit Wasser an!
So wurde ich also aufs Knickern konditioniert. Konsequenz: Bis heute benutze ich alle Teebeutel sieben bis neun Mal, um sie anschließend auf der Wäscheleine zu trocknen, mit einem Überzug aus den Resten dünngeschneuzter Stofftaschentücher zu versehen und als Federdeckchen für die Playmobilfiguren meiner Tochter zu verwenden. Aber es gibt Schlimmeres als Sparsamkeit. Patriotismus zum Beispiel. Oder Spargel.
Nur die vollkommen widersprüchliche Bewertung der Sparsamkeit durch die Gesellschaft lässt mich manchmal ratlos zurück. Einerseits funktioniert der Kapitalismus nur mit und durch Verschwendung, das heißt, indem der Konsument das verdiente Geld augenblicklich mit schaufelbaggerartigen Gesten zurück in den Umlauf bringt. Sonst schwächelt die Konjunktur, Folge: Verlust des Wohlstands, gesellschaftliche Destabilisierung, Abendland kopfunter! Asketischer Lebenswandel ist somit Subversion, Sparsamkeit ist Sabotage, Geiz ist Terrorismus.
Andererseits verherrlichen die gleichen neoliberalen Politiker, die mich zum besinnungslosen Konsum auffordern, den öffentlichen Geiz. Dann heißt es, der Staat müsse sparen, vorzugsweise an der Kultur und am Sozialen. Da meine Einnahmen als freischaffender Kulturheini allerdings oft von genau diesen weggesparten Subventionen abhängen, katapultieren sie mich damit in ein klassisches Dilemma. Was soll ich denn dann bitte ausgeben? Da presse ich doch gleich wieder revolutionäre Seifenklötzchen …
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