die wahrheit: Das beste Arbeitszeugnis der Welt
Wie dem Arbeitslosen Olaf Ittenberg einmal ein öder Sommertag gerettet wurde.
Olaf Ittenberg, arbeitslos und altersmild, war von der Hitze geweckt worden. Müde wälzte er sich aus dem Bett an diesem warmen Sommermorgen und taumelte halb im Schlaf und halb in der Unterhose zum Briefkasten. Eigentlich wollte er sich heute um nichts kümmern, einfach nur entspannen … Doch dann war da auf einmal dieser große, braune Umschlag wie ein Brett aus bösem Papier, das sich aufdringlich über den Horizont seiner schlaffen Aufmerksamkeit schob. Post von der ehemaligen Firma, diesem Irrenhaus!
Na toll, dachte Ittenberg. Offenbar hatte sein übellauniger Anruf in der Personalabteilung letzte Woche doch Wirkung gezeigt. Man möge ihm doch bitte als Arbeitszeugnis keinen oberflächlichen Standardtext zukommen lassen, hatte er gedroht, nicht so einen mit jenen berüchtigten Wischiwaschi-Formulierungen, die nur einen versteckten Code beinhalteten und damit negative Aussagen!
Ittenberg öffnete den Brief und überflog versonnen die Zeilen. Die Vögel zwitscherten derweil auf dem Apfelbaum.
"Das beste Arbeitszeugnis der Welt
für Herrn Olaf Ittenberg, wohnhaft in Fischbeck
Hiermit bestätigen wir den für uns schmerzvollen Umstand, dass Herr Olaf Ittenberg eine, wie wir finden, viel zu lange Zeit bei uns beschäftigt war - und wir sind nun, da sich dieses dunkle Kapitel in unserer Betriebsgeschichte mit Gottes Segen endlich dem für uns erlösenden Ende zugeneigt hat, mehr als hoch beglückt, ihn mit diesem Zeugnis seinem weiteren, wohlverdienten Schicksal überlassen zu dürfen. Möge es für ihn grausam und vernichtend werden, auf dass der unsrigen Welt als Arbeitgeber jenes kleine, süße Stück Gerechtigkeit zurückgebracht wird, welches von ihm beizeiten geraubt wurde."
Ittenberg massierte sich den Bauch. Nun ja, es hätte ja auch etwas Negatives drinstehen können. Er las weiter:
"Die Liste der Zumutungen, welche sein Eindringen in unsere bis dahin intakte Firma darstellten, ist lang. Es handelt sich hierbei genau genommen weniger um eine Liste als um ein ganzes Buch, dick und prall, das wir in gebundener Form der Handelskammer sowie mit noch weit größerer Genugtuung der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Aus diesem gigantischen Monument des Versagens, einer Enzyklopädie des Unvermögens ragt ein bunter Strauß an unfassbaren Inkompetenzen heraus und blüht mit frechem Grinsen in den Himmel einer an Dreistigkeiten nicht armen Arbeitnehmerschaft. Die Eskalation des Defizitären gelangte durch Herrn Ittenberg zu seiner reinsten Verkörperung."
Nun schmeicheln sie aber, dachte Ittenberg, das wird ja langsam peinlich!
"Herr Ittenberg demütigte nicht nur Vorgesetzte durch seine unaufhörliche und geradezu impertinent zur Schau gestellte persönliche Existenz, auch ließ er keinen Willen erkennen, den problematischen Charakter seiner unqualifizierten Anwesenheit durch entsprechende Gegenmaßnahmen zu mildern. Herr Ittenberg zeigte neben dem weithin unerwünschten Anblick seiner Kopfvorderseite auch stets ein problematisches Konfliktverhalten, indem er mittels intrigant eingestreuter Begrüßungsfloskeln schon bei Dienstantritt die Gepflogenheiten der langjährigen Mitarbeiter unseres Hauses aufs Boshafteste bloßstellte."
Völlig richtig, dachte Ittenberg, wer dort Kollegen einen "Guten Morgen" wünscht, der zeigt, dass er im Reich der Illusionen lustwandelt.
"Schamlos demonstrierte Herr Ittenberg seine mangelnde Teamfähigkeit, indem er eigenmächtig Arbeiten erledigte, welche im Laufe der langjährigen Tradition unseres Hauses schon von weit besser bezahlten Führungskräften als unlösbar erkannt worden waren. Zu den weiteren objektiven Verfehlungen, die Herrn Ittenberg anzulasten uns eine Freude ist, gehört ganz zweifellos seine Nase, welche uns genauso wenig passt wie allen anderen Arbeitgebern in diesem Land, die wir unverzüglich über diesen wissenswerten Sachverhalt informieren werden."
Glänzend, dieses Spiel mit Doppeldeutigkeiten, schmunzelte Ittenberg. Subtil und doch warmherzig, von einer geradezu Thomas Mannschen Verschmitztheit!
"Für seinen weiteren beruflichen Werdegang wünschen wir Herrn Ittenberg alle nur erdenklichen Qualen. Wir bedanken uns bei Herrn Ittenberg ganz herzlich für das gelungene Aufzeigen der Grenzen einer menschlichen Mitarbeiterführung und wünschen ihm, dass seine Glückssträhne bezüglich nachsichtiger Arbeitgeber nun das verdiente und hoffentlich überaus schreckliche Ende finden möge.
Mit allen nur erdenklichen Verwünschungen, Dr. Müller."
Ittenberg lehnte sich zufrieden zurück. Müller-Doc, du machst mir Spaß! Auf den ersten Blick mögen in seinem Zeugnis zwar leicht negative Töne angeklungen sein, doch wurde ja zwischen den Zeilen ganz unmissverständlich von seinen großartigen Leistungen geschwärmt. Gerade noch mal gut gegangen!
SVEN GARBADE
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