die wahrheit: Schulsäufer und Seminarraucher
Was es alles so gibt: Zum Beispiel eine Aktion "Trinken im Unterricht" (trinken-im-unterricht.de). Schirmherrin ist Dr. Heide Simonis, ...
Was es alles so gibt: Zum Beispiel eine Aktion "Trinken im Unterricht" (trinken-im-unterricht.de). Schirmherrin ist Dr. Heide Simonis, Ministerpräsidentin a. D., TV-Eintänzerin und SPD-Kollateralschaden, die mit folgender Schluckspecht-Weisheit zitiert wird: "Richtiges Trinken muss gelernt werden - je früher, desto besser!" Wer würde da widersprechen wollen. Wie oft sieht man Jugendliche auf Schulhöfen dilettantisch herumpicheln, hackedicht aus dem Fenster des Chemieraums fallen oder in den ökologischen Schulgarten reihern. Da würde man gern mal den einen oder anderen Tipp geben. Aber erfahrungsgemäß nehmen die jungen Leute ja keinen Rat von Erwachsenen an.
Davon abgesehen geht es aber bei der Aktion "TiU" - so die offizielle Kurzform - selbstverständlich nicht um den alten Lehrer- und Schülerbrauch, sich den anstrengenden und öden Schulalltag pädagogisch schönzusaufen, sondern um die intensive Bewässerung des Körpers aus gesundheitlichen Gründen und zum Zwecke der Hirnleistungsoptimierung. Und dabei fällt einem ein und auf, dass das früher wirklich so war und heute größtenteils wohl auch noch so ist, sonst bräuchte es die Aktion ja nicht: In der Schule darf man tatsächlich nicht trinken, wenn man Durst hat!
Wenn ich mich so recht erinnere, fing bei mir die Dehydrierung schon im Kindergarten an. Und damit hier auch mal Ross und Reiter genannt werden: Es war der Evangelische Kindergarten in Kassel-Mattenberg, der mich übrigens nur aufnahm, nachdem ich armes Semi-Muselmanenkind evangelisch nachgetauft worden war. Eine Not- und Zwangstaufe sozusagen, damit meine Mutter arbeiten gehen konnte und ich nicht schon mit fünf auf der Straße rumhängen und mit Drogen handeln musste.
Zu diesem Repressionsklima passte dann auch, dass mir eine der damals "Tanten" genannten Kindergärtnerinnen am ersten Tag auf meine freimütig geäußerte Bitte "Kann ich was zu trinken haben?" ein dominahaftes "Getrunken wird hier nur nach dem Essen" zuzischte. Als ich die Existenz meines körperlichen Bedürfnisses noch einmal mit einem lautstarken und wütenden "Aber ich hab Durst!" betonte, schaute mich die Tante verwirrt und erschrocken an, als hätte ich ihr gerade erklärt, ich hörte Stimmen, die mich dazu aufforderten, die gesamte Kindergartenbesatzung dem Satan zu opfern. "Durst"? Davon hatte sie anscheinend noch nie gehört.
Zu Hause durfte ich dagegen trinken so viel, wie ich wollte. Im Gegensatz zu meiner Cousine Iris. Bei ihr galt die gleiche Regel wie im Kindergarten: Trinken nur nach dem Essen, damit man sich den Hunger nicht verdirbt. Eine Zeit lang ging sie während des Essens aufs Klo und trank aus dem Wasserhahn. Dann durfte sie auch nicht mehr aufs Klo. Bis zu dem Tag, als sie unter die Eckbank pieselte.
In der Schule gab es bei uns sowieso kein Wasser, nur Milchtüten und Cola und Fanta aus dem Automaten. Aber auch die durfte man nur in der Pause genießen. Das war noch bis zu meinem 1985 abgelegten Abitur so. Kein Wunder, dass ich Mathe mit einem Punkt abgeben musste. Als ich dann ein Jahr später auf die Uni ging, durfte man dort aber zum Ausgleich im Geschichtsseminar rauchen. Immerhin.
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