die wahrheit: Asservatenkammer der Düfte
Zu Besuch im Archiv eines leidenschaftlichen Geruchssammlers. Eine Milieustudie.
"Ich kann dich nicht riechen", hat für Collin Edward eine ganz eigene Bedeutung. Sein Geruchssinn übersteigt normale menschliche Fähigkeiten um ein Vielfaches. Er sammelt und archiviert Gerüche.
Collin Edward lebt in einem 200-Quadratmeter-Loft mitten in Berlin. Der groß gewachsene 42-Jährige könnte einem Martin-Suter-Roman entstiegen sein. Korrekt gekleidet bittet Edward in seinen Salon. Die Wohnung wirkt seltsam kalt. Etwas fehlt. Richtig, Düfte, Gerüche - Eindrücke, die nur eine Nase einfangen kann. Edward lässt sich in einem Barcelona-Sessel von Knoll nieder, auf dem Beistelltisch liegt eine signierte Ausgabe von Alain Corbins "Pesthauch und Blütenduft - Eine Geschichte des Geruchs".
"Ich ertrage einfach keine Düfte in meiner Wohnung, keine Blumen, schon gar keine Duftkerzen oder Ähnliches. Das sind Reize, die ich aus meinem Alltag ausgesperrt habe."
Collin Edward hat eine Fähigkeit, die Gabe und Fluch zugleich ist: Sein Geruchssinn übersteigt normale menschliche Fähigkeiten um ein Vielfaches. Die Wissenschaft bezeichnet Edward als einen Olfactus maximus. Die Riechschleimhaut eines normalen Menschen beträgt auf jeder Seite etwa die Fläche einer Cent-Münze, beim Hund ist sie 40-mal größer, bei Menschen wie Edward noch einmal doppelt so groß. Dank seiner übersteigerten Sinneswahrnehmung ist es ihm möglich, jede noch so kleine Nuance wahrzunehmen.
In seiner Wohnung duldet er nur Gerüche, die er selbst eingefangen hat. "Das ist schon schwierig genug, denn Besucher wie Sie bringen jede Menge olfaktorische Reize mit sich. Sie sind eben durch frisch gemähtes Gras gelaufen, das gestern früh auf 1,2 Zentimeter gestutzt wurde, Sie tragen ein sehr bekanntes Männerparfüm und benutzen Anti-Schuppen-Schampoo", analysiert Edward mühelos. "Und das ist nur ein Bruchteil Ihrer Geruchsgesamtheit." Allzu starke Duftwahrnehmungen lenken den Spross einer alten englischen Aristokratenfamilie von seiner Duftsammlung ab. In der "Asservatenkammer der goldenen Nasenschleimhäute", wie er sein Duftzimmer nennt, gibt es nichts anderes als kleine Reagenzgläser in schweren, beinahe antiken Holzregalen, sorgfältig mit Strichcode versehen.
"Ich habe einen ausgeprägten Sinn für Logistik: Früher war meine Sammlung handbeschriftet. Durch die Computersystematik weiß ich aber viel schneller, welche Probe wo steht. Der Strichcode sagt mir, wann und wo ich die Probe eingefangen habe und wie lange sie sich noch hält." Mit Gerüchen sei es nämlich ähnlich wie mit Wein: Manche Düfte werden mit den Jahren besser, wieder andere verfliegen sehr schnell und müssen wie guter Weißwein zügig nach der Ernte konsumiert werden.
Edwards Sammlung ist in verschiedene Themenbereiche gegliedert. Ein Regal ist mit Urlaub überschrieben. Hier archiviert er Klassiker wie hochkonzentrierten Lavendel aus der Provence, den metallisch-weichen Geruch von Bernstein aus Dänemark, aber auch Ausgefallenes wie den Ausstoß alter Industrieanlagen aus der Ukraine. Weitere Regale beherbergen Eindrücke aus den Bereichen Gastronomie ("Der Geruch von geschmälzten Maultaschen erinnert mich an Kindheit"), Sport, Kirche oder Skurriles wie "Frische Druckerzeugnisse", wo sich der Geruch von Möbelkatalogen genauso findet wie der von alten Bänden des Observer oder des Guardian.
Bei so viel Sammelleidenschaft drängt sich der Vergleich zu einem literarischen Bestseller geradezu auf. Doch auf das Parfüm von Patrick Süskind ist Edward überhaupt nicht gut zu sprechen. "Das Buch hat unser ganzes Milieu in Verruf gebracht. Gerüche zu sammeln hat keinesfalls nur eine sexuelle Konnotation, dahinter steckt viel mehr, eine Lebensaufgabe, ein Lebensinhalt, ein Tanz der Sinne. Auf keinen Fall aber das plumpe Verhalten eines Triebtäters." Er wird nachdenklich: "Unsere Gabe ist gleichzeitig ein Fluch, sie schränkt unheimlich ein, hat mich eine Liebe gekostet, zahlreiche Wohnungswechsel erfordert. Ich habe viele Freunde verloren, denen meine Fähigkeit zu absonderlich erschien." Gedankenverloren blickt Collin aus den riesigen Fenstern seines Lofts auf das spätabendliche Treiben der Hackeschen Höfe. Mit einem Ruck fährt er sich zweimal über den Nasenrücken, als gebe ihm sein wichtigstes Organ das Signal zum Aufbruch. "Ich habe mich mit meiner Situation abgefunden. Alles Lamentieren bringt ja auch nichts." Routiniert packt er ein Handköfferchen voll leerer Reagenzgläser zusammen. "Berlin riecht im Übergang zwischen Sommer und Herbst einmalig, gerade in den frühen Abendstunden. Heute Abend fange ich noch etwas Friedrichshainer Volkspark und Abgase vom Kottbuser Tor ein. Im Herbst ist es dazu meist zu nass und windig."
INGMAR VOLKMANN
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