die wahrheit: Werkstattbericht eines Büchsenöffners
Wenn man eine wöchentliche Kolumne schreibt, dann baut sich im Autor spätestens drei Tage vor Abgabe des Textes eine Spannung auf: Was wird diesmal die Idee sein?
Wenn man eine wöchentliche Kolumne schreibt, dann baut sich im Autor spätestens drei Tage vor Abgabe des Textes eine Spannung auf: Was wird diesmal die Idee sein? Wie wird sie umgesetzt? Und kann der gnadenlose Redaktionsschluss überraschenderweise wieder eingehalten werden? Noch drei Tage, noch zwei Tage, noch einen Tag …
Nun könnte man Reservekolumnen für die Vorratshalde produzieren, aber die meisten Texte entstehen tatsächlich erst kurz vor Redaktionsschluss. Offenbar braucht es den mit Adrenalin vollgepumpten Druck der Deadline. Dabei hat man als Kolumnist immer langfristige Ideen - oder besser: Ideenwörter im Kopf. Manchmal trägt man ein Ideenwort wochenlang mit sich herum, spielt mit ihm, verwirft es, greift es erneut auf, bis es schließlich so weit ist: Das Ideenwort wird zum Auslöser für den Autor, der aus subjektiver Sicht ein alltägliches Ereignis erzählt und es in Beziehung setzt zu einer objektiven Gesetzmäßigkeit. Plötzlich treffen zwei unterschiedliche Ebenen aufeinander: niederes Alltagsgeschehen und gehobene historische Einordnung. Es entsteht eine komische Fallhöhe und ein Witz, der dem hoffentlich lachenden Leser eine bleibende Erkenntnis beschert.
Eines dieser Ideenwörter, das mich seit Wochen umtreibt, ist der verschnarchte literaturwissenschaftliche Begriff Werkstattbericht, der die Sphären des Proletarischen und des Intellektuellen verbinden möchte, aber eher dazu reizt, die unter dem Mäntelchen der Arbeiterwohlfahrt betriebene eitle Form der geistigen Nabelschau zu parodieren.
Ein weiteres Ideenwort, das mir länger schon im Kopf herumschwirrt, ist Pussycatcher. Denn mein Nachbar besitzt einen ebensolchen. Immer wenn ich aus dem Fenster sehe, steht vor dem Haus sein Jaguar. Sobald Frauen an dem Wagen vorbeigehen, bekommen sie tatsächlich dieses gewisse Leuchten in den Augen, das nur ein Pussycatcher produzieren kann. Was wörtlich übersetzt "Muschifänger" heißt und für eine Katze wie den Jaguar gar nicht so falsch wäre. Noch schlüpfriger jedoch wäre die Übersetzung "Büchsenöffner".
Von diesem Punkt an müsste ich nun eigentlich, wollte ich die Gesetze der Glosse befolgen, den Jaguar mit meiner Katze namens Conchita verbinden, für die ich wiederum der Büchsenöffner bin. Conchita heißt übrigens im Spanischen das, was Pussy im Englischen bedeutet. Außerdem müsste noch der "Pussy-Versand" auftauchen, der sagenhaft kitschige Katzenzubehörprodukte vertreibt und mir kürzlich unverlangt einen Katalog zusandte. Ich möchte nicht wissen, was der Postbote dachte, als er auf dem Umschlag "Pussy-Versand" las.
Was diese Motive nun mit Conchitas plötzlicher Gastritis zu tun haben und wie ich den Bogen von dem unerhörten Ereignis einer alles voll kotzenden Katze zu einem höheren Erkenntniszusammenhang herstellen soll, ist mir allerdings völlig schleierhaft. Glücklicherweise aber ist der Redaktionsschluss gerade erreicht. Der Text muss weg. Beim Boxen nennt man so etwas: "Durch den Gong gerettet." Leider fällt deshalb heute die Pointe aus. Sollen sich die Leser doch selbst ihre Erkenntnis heraussuchen. Vielleicht merken sie ja dann, dass schon der Titel "Werkstattbericht eines Büchsenöffners" nur ein Eyecatcher war.
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