piwik no script img

die wahrheitDie Betonkopfbande

Heruntergekommene Berufe. Heute: der Architekt (Legospieler und Fugendehner).

Das Unwesen der Architektur begegnete mir erstmals, als ein Vertreter dieser baugrubentief heruntergekommenen Zunft in der Küche unserer Studenten-WG saß, um "marginale Veränderungen" im Hinterhaus anzukündigen. Der Unhold dozierte über poststrukturalistische Fassadentextur, murmelte differenzialgeometrische Zauberformeln und soff dabei unsere Kaffeevorräte weg. Flankierend quoll aus seinem Mund das inferiore Kauderwelsch professioneller Einschüchterung. Von Abschirmputz ging die Rede, von Batterieschalungen, bindigen Böden und Dehnfugendichtungsmassen. Er sprach von Elastizitätsmodulen und Eruptivgestein, von Fersenversatz, Firstpfetten, Fledermausgauben und Gratsparren.

Mit immer bleicheren Gesichtern verfolgten wir, wie dieser Mensch der bis dato grundsoliden Bausubstanz mit Klemmfilz und Karbonatbremsen zu Leibe rücken wollte und mit Putzabsprengung,Rammpfählen und Rissverpressung drohte. Er jonglierte mit Schwindfugen, warf Schlitzmörtel an imaginäre Wände, beschwor tückische Gesellen wie den Schalrüttler, den Schluff und den Sinterbiber, vergaß auch nicht vor der gemeinen Tropfnase zu warnen, die es durch Verwindung, Verzapfung oder das Läuten der sogenannten Walmglocke zu kurieren gelte. Zum Schluss empfahl er allen eine Zementinjektage gegen Ziegelsturz und hieß uns ein Papier unterschreiben, das ihm während der Bautätigkeit die Zutrittskontrolle in unserer Wohnung sicherte. Resultat: Wir schliefen ein halbes Jahr lang im Campingzelt, der projektierte Anbau sah nachher aus wie das kubistische Legohaus eines Demenzpatienten.

Man hätte es ahnen können. Schließlich stammt das erste schriftliche Zeugnis vom Wirken der Architekten aus der Stadt Babel, was auf Deutsch schlicht "Verwirrung" heißt. Die Hybris dieses verbrecherischen und durch und durch verdorbenen Gewerbes ist demnach so alt wie die Menschheit. In der Genesis, 1. Mose, Kapitel 11, wird berichtet, wie ein Trupp Quartalsirrer aus "Stein und Erdharz" einen Wolkenkratzer zusammenmörtelt, dessen Spitze den Hintern des Weltenbauers kratzen sollte. Gott was not amused. Die Folgen sind bekannt. Seitdem versteht kein Mensch den anderen.

Oder um das Ganze auf die Problemlage der hier behandelten Berufsgruppe herunterzubrechen: "Der Komplexitätsdiskurs in der Architektur (war) zurück" (Prof. Gerd Zimmermann, Weimar). Von nun an wird der Planet mit himmelschreienden Scheußlichkeiten überzogen, die uns der Architekt heute gern als postmoderne Urbanistik verkauft, welche aber recht eigentlich nur "die Historie durch Erdkunde ersetzt und den Neandertaler zum Generalbaumeister ernannt hat" (Wolf Jobst Siedler in der Frankfurter Rundschau).

Zu besichtigen ist das in den Innenstädten von Passau, Hannover oder Braunschweig, wo hinter einer Schlossfassade "krebsartig ein Gekröse wuchert, das an schlimmste Architektursünden der Sechzigerjahre erinnert". (Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz). Angesichts des Betonquaders "Alexa", eines rosa bepinselten Einkaufszentrums in Berlin, plädierte Kolumnist Harald Martenstein sogar dafür, den Straftatbestand "Architekturverbrechen" einzuführen.

Sollte seine Forderung wahr werden, dürfte das zumindest dem Knastbau einen veritablen Boom bescheren. Denn das desaströse Versagen der Architektenbranche füllt mittlerweile ganze Bände. Ein paar Auszüge aus dem Jahr 2001: "Es war wie eine Explosion", schrieb das Hamburger Abendblatt, als am Finkenwerder Norderdeich zwei Betonplatten brachen. Eine Rentnerin starb. Ein Opfer mehr verzeichnete das Obermain Tagblatt Lichtenfels: "50-Meter-Sims brach ab: zwei Frauen tot". In der Neuen Presse Coburg machte ein eingestürzter Supermarkt Schlagzeilen.

Man möchte den Betonköpfen mit Martin Heidegger zurufen: "Bauen und Denken sind jeweils nach ihrer Art für das Wohnen unumgänglich". Obs etwas hilft, scheint indes fraglich. Besserverdienende Exemplare wie Frank Gehry halten sich immer noch für Künstlergenies, obwohl viele seiner "teigig gekneteten" Werke anmuten, als seien ihre Arbeitsmodelle vom Meister in einer langwierigen Sitzung "auf ein Backbrett geschissen worden" (Süddeutsche Zeitung). Was die Forster, Liebeskind, Kohlhaas & Co. nicht davon abhält, ihre irren Fantasien weiterhin schreckliche Gestalt annehmen zu lassen. Sie planen Skihallen in den Wüsten Kasachstans oder verheeren China wie der Hamburger Stararchitekt Hadid Therani.

Dort ist er allerdings nicht ganz freiwillig tätig. Wie der Hamburger Morgenpost zu entnehmen war, begeisterte Therani noch vor Kurzem "die Hanseaten mit seinem kessen Entwurf von zwei Bürotürmen direkt im Herzen von St. Pauli. Das Tor zur Reeperbahn sollen sie bilden, hoch, innovativ und gewagt." Die Euphorie erhielt allerdings einen herben Dämpfer, als dem 13-jährigen Marvin auffiel, dass die Hochhäuser genauso aussehen "wie die Wolkenkratzer von Klaas Klever im Dagobert-Comic ,Die tanzenden Türme' ". "Alles reiner Zufall", log der windige Baumeister und verschwand Richtung Peking.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • J
    Julian

    ich gratuliere zu dem zutreffenden Artikel,

    als Student der Architektur kann ich mich köstlich

    amüsieren. Mit Phrasen um sich schmeißen

    und nachher doch nur Entwürfe aus dem Kinder-Comic

    abgeben, oder die Inspiration aus dem Mülleimer holen,

    trifft oft den Kern.