die wahrheit: Ein höllischer Flop
Weltuntergangsnachlese. Warum das seit Jahrtausenden erwartete Armageddon schließlich so übel in die Hose ging.
ERDE/HIMMEL/HÖLLE taz | Gestern herrschte ausgelassenste Endzeitstimmung in den Vorhöfen zur Hölle: Erzengel und Dämonen tanzten Ringelrein, das Fegefeuer loderte auf Hochtouren und der Beelzebub spendierte zur Feier des Tages eine Runde seines sauersten Schwefelsekts. Nach Tausenden von Jahren war es endlich so weit: Weltuntergang, Armageddon, das Jüngste Gericht! Doch auf Erden sollte sich das größte Event seit Erfindung der Religion zum höllischen Flop entwickeln: Hier schien man auf Tod und Teufel schlichtweg keine Lust zu haben.
In Berlin etwa reagierten die Fahrgäste der U 6 nur mit einem müden Gähnen, als ihr Zug gestern gegen 8.36 kurz hinter der Station Wedding plötzlich entgleiste und auf eine soeben aufgetane Lavaspalte zuraste. Mit Kopfhörern verstöpselt und in Schundromane versunken nippten sie ein letztes Mal an ihrem Coffee-to-go und fuhren - stoisch wie immer - in den düsteren Abgrund.
Total abgestumpft schienen auch dreizehn Jugendliche aus Mölln, die beim Casting für die Verfilmung von World of Warcraft von den vier Apokalyptischen Reitern stockvoll über den Haufen geritten wurden. "Cool, das sind aber krasse Effekte", hörten Augenzeugen einen der Jungen kurz vor dem fatalen Zusammenstoß noch rufen.
Überall in der Bundesrepublik häuften sich seltsame Vorkommnisse wie diese. So mischten sich Horden auferstandener Untoter in Hameln unter die Besucher eines Frühlingsfestes und versuchten den örtlichen Schützenverein unter den Tisch zu saufen. Die Mitglieder waren allerdings selbst so abgefüllt, dass keinem auffiel, wie das Bier unten wieder aus den Skeletten tropfte.
Und auch ungewöhnliche Naturereignisse wurden zunächst kaum religiös interpretiert. Als sich in München beispielsweise die Isar blutrot färbte, glaubten die meisten eher an einen besonders pfiffigen Werbegag des FC Bayern als an eine endzeitliche Plage. Selbst brutale Hagelstürme vermochten, genau wie zahlreiche Springfluten und Überschwemmungen, in Zeiten des Klimawandels niemanden mehr über die Maßen zu erschrecken.
Nur die Gläubigen in aller Welt waren auf Zack. Allen voran jubilierten die Christen in Erwartung ihres Heilands. Endlich schien die Wiederkunft des Messias gekommen und damit die ersehnte Belohnung für ihr frommes Leben. Doch keine Posaunen erklangen, keine Engel schwebten herab und keine sieben Siegel wurden aufgebrochen. "Was war denn hier los?", fragten sich viele enttäuscht. So hatte man sich eine vernünftige Apokalypse nicht vorgestellt. Erdbeben, Überschwemmungen, Blitz und Donner, schön und gut, Geschwüre, Seuchen, Heuschrecken, alles da, nur weit und breit kein Jesus. Was war geschehen?
Die Erklärung kann so einfach sein: Gott hatte sein eigenes Jüngstes Gericht verschlafen. Schuld an der Panne waren, wie so oft in unserer modernen Welt, profane Terminschwierigkeiten und mangelnde Kommunikation. So hatte die Hölle im Jahre 1582 die Gregorianische Kalenderreform nicht mitgemacht, weil man Gregor XIII. dort schon immer für einen Spinner hielt. Doch diese Lappalie verhinderte nun den großen Showdown. Natürlich hätte auch jemand aus der Hölle einfach oben Bescheid sagen können, aber der Satan und der Herrgott sprechen seit einem blöden Streit um eine siebenköpfige Ziege vor einigen Jahrtausenden nicht mehr miteinander.
Und so kam es, dass selbst der Weltuntergang nicht mehr hielt, was er seit Äonen von Jahren versprochen hatten, und wir fortan in einer Mogelpackung weiterleben müssen. Jesus, Gott und der Heilige Geist waren sich nach dem verpatzten Finale schnell einig: "Zum Teufel mit der Welt!" An den Menschen konnte man sich seit geraumer Zeit sowieso nur noch wenig erfreuen. Auf eine Wiederholung hatte auch niemand Lust. Und selbst der Teufel wollte die verkorkste und nach dem Beinahe-Untergang ziemlich lädierte Welt nicht haben. Er genießt lieber seinen verdienten Ruhestand in den heißen Kraterpools der Unterwelt - mit einem diabolisch guten Cocktail in den Griffeln und heißen Bräuten um sich, die ihm schmachtend den müden Pferdefuß kraulen.
Die Menschen der Welt nehmen es derweil gelassen. Und recht haben sie: Es ist zwar bestimmt nicht der Himmel auf Erden, aber auch kaum mehr Hölle als vorher.
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