die wahrheit: Kutteln und Klöten von Onkel Kalles Schlachtbank

Es ist Schlachttag, und der Familienschlachter gibt alles, um das Schwein auszuweiden und zu entbeinen.

Der Schlachter ist zufrieden. Bild: ap

Dringender Warnhinweis: Personen mit einer niedrigen Ekeltoleranz, einem schwachen Magen oder etwa Halswirbelschäden sollten wegen der hohen Windungsgefahr von der Lektüre dieses Wahrheit-Textes absehen.

Von Onkel Kalles Schürze rinnt das Blut, seine Gummistiefel stecken knöcheltief in Fleisch. Er trägt dicke Ohrenschützer, denn um ihn herum tost ein Sturm aus schrillen Frequenzen - eine Kakofonie des Todes. Kalle greift zum Holzhammer und macht dem Quieken ein Ende. "Herrlich", denkt er sich, "ein guter Start in den Tag!"

Kalle schwitzt, als er das zentnerschwere Schwein auf die Rohrbahn hängt. Dann legt er die Anschlingketten um den dreckstarrenden Körper und wetzt sein Messer. Mit einem Grinsen setzt er an und stößt mit einem Ruck zu. Doch der Stich gelingt ihm nicht. "Scheiße!", brüllt Kalle und wischt sich die Spritzer von der Schutzbrille. Die Ader rollt sich auf, und die Sau verblutet nach innen - ein dumpfes Gurgeln dröhnt heraus. Jetzt ist sie hin, die Sau, und der Schlächter schnauft. Wieder keine Blutwurst heute. Er hievt das Schwein in den Dampfbrühapparat und macht erst mal Brotzeit vom Stichfleisch. Derweil schält die Enthaarungsmaschine die Borsten vom Vieh.

Gestärkt hängt Kalle den Körper nun an den Hinterbeinen auf. Flugs hat er die Haut vorgeschnitten und abgezogen. Schön sauber mit dem Messer abgeschabt. In seinen Augen glitzert es, er will das Tier entweiden. Doch nicht zu hastig. Kein Kot darf ans Fleisch gelangen, er klammert das Tier vorn und hinten zu. Gummiringe an Schlund und Rektum halten die Verdauung im Zaum. Er öffnet den Bauch, ein Schwall aus halb geronnenem Blut umspült seine stolze Brust. Kalle lacht laut und herzhaft, dass es auf den kahlen Fliesen nur so klirrt. Dann zieht er sich die Handschuhe aus, greift mit beiden Händen tief hinein. Er spürt den Widerstand des Gedärms und genießt die wohlige Wärme. Er gleitet tiefer, tastet sich vor zum Herzen und zieht es heraus. Mitsamt der Lunge und den Därmen entnimmt er alle Eingeweide und gibt sie in den Bottich. Dann spült er die Bauchhöhle mit Wasser aus und bricht den Körper in der Mitte entzwei, auf dass die Wirbelsäule kracht.

Die Hälften kommen auf den Metzgertisch. Mit kundiger Hand zerteilt er die Glieder. Gelenk um Gelenk, Bein um Bein arbeitet er sich vor zu den Filets. Auf dem Weg begegnet er alten Bekannten: Schulter, Bauch, Hintern, Schenkel, Haxen, Rippen. Kalle leckt sich den trockenen Mundwinkel - im Kopf geht er bereits die Rezepte durch. Schwarte, Fleisch und Eigendarm, Hoden, Magen Nieren, Hirn. Das gibt was Deftiges zum Abendbrot.

Doch sein Herz gehört den Eingeweiden. Er zerrt den Bottich mit dem Gedärm zur Wurstmacherecke und nascht dabei immer wieder ein Stückchen rohe Innerei. Kalle schmunzelt. Jetzt hatte er alle Zutaten zusammen für seine Spezialität: "Kutteln und Klöten". Das Rind von gestern und die Sau von heute waren sehr ergiebig - allerfeinstes Innenleben. Den Pansen hatte er schon geschnitten und eingelegt, etwas Essig, Rosmarin, Muskat und Nelken. Nun kocht er die Füße, Schwanz und Ohren aus, für eine kräftige Bouillon. Dann hebt er sacht die Kutteln und etwas Schweinelunge unter und macht sich ans Filettieren. Die Klöten müssen hauchdünn aufgeschnitten sein, damit sie auf der Zunge zergehen. Er probiert eine Scheibe, kaut und schmeckt - O ja! - genau so sind sie recht.

Während der Sud dampfend den Schlachterkeller mit Aroma füllt, macht Kalle sich daran, den Schädel des Schweins zu spalten. "Fleischer ist doch der schönste Job der Welt", denkt er sich, greift zum Beil und schlägt zu. Ein Knacken wie von einer Kokosnuss, und der Kopf ist auf. Das zarte Hirn kommt zum Vorschein und glänzt milchig im grünen Neonlicht. Kalle nimmt eine große Kelle voll und geht zum Kuttelkessel. Er weiß genau: Das gibt erst die richtige Bindung. Er drückt die weiße Masse durch ein Sieb und rührt sie ein, bis es sämig wird. Noch ein Weilchen, und dann kann der Schmaus beginnen.

Kalle grinst und schnappt sich eine Schaufel. Er kratzt die Schweinereste vom Boden und wirft sie in einen Eimer - das gibt eine gute Presssackwurst. Wieder schallt sein grollendes Lachen durch den Keller. So klingt ein echter Fleischer aus Leidenschaft. MICHAEL GÜCKEL

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