die wahrheit: Wahlplakate und Donnerschläge
Ohne Widersinn und Zwiespalt, ohne Gegensätzlichkeiten und Kontraste gliche das Hier- oder Dasein geradewegs einem niedlichen Puppenstubenleben unweit eines Friedhofs ...
... Je feinfühliger ich die bleischwere Sentenz wog, desto vernehmlicher schwante mir: Sie taugt weniger als kühne These, sondern ihr Kern ist der untersten Schublade der halbgaren Allerweltsweisheiten entnommen. Arbeitet doch die Seifenoper jeglichen Formats mit mehr oder minder dramatischen Krawallen und Konflikten. Jeder für sich, Gott gegen alle.
Immerhin irritieren gewisse Widersprüche, sofern sie aus derselben Quelle gespeist werden, zumal inmitten der wahlpropagandistischen Bemühungen. Wie ein Donnerhall schlug ein Plakat der Linken ein: "Reichtum für alle". Ein Gran Ironie, ein Fitzelchen Coolness schwinge vorsätzlich in dieser Frontalforderung mit, verriet mir ein Nachbar, als ich beinahe stolz das Pendant nachreichte. Wenige Fahrradtritte später hatte nämlich die nächste Attacke der Linken gelautet: "Reichtum besteuern". Ja, wie denn nun? Zunächst wird Zaster jeglichem spendiert, dann besteuert oder andersherum?
Das obligate Problem: Wurde nicht längst über diese Ambivalenz des künftigen Wohlstands öffentlich gefeixt? Denn nahezu aussichtslos schaut man sich längs des Wahlkampfkurses nach originellen Kalamitäten um, die noch nicht witzisch ausgeplündert sind. Ganz abgesehen davon, dass Politik sich selbst parodiert, teils freiwillig, stets miserabel.
Einen allerletzten Versuch aber hab ich. Schauen wir uns das Plakat des FDP-Kandidaten Patrick Döring an, seines Zeichens Vorstandsmitglied der Agila Haustierversicherung AG: "Neustart für Deutschland" ist seine Botschaft. Man fragt sich beklommen, instinktiv argwöhnisch, wie neu der Start sein wird, den dieser Kläffer-Policen verhökernde Typ verheißt. Die Physiognomie ist trotz blanko gegeltem Haupthaar einem pausbäckigen Pfannkuchen nicht unähnlich, die Mundwinkel empor graviert wie die des Jokers, Batmans Feind Nummer eins. Vorurteile? Aber sicher, wohin kämen wir ohne?
Abschließend die Reprise eines winterlichen Kurzbesuchs auf der dritten ostfriesischen Insel von links. Der Ausflug brachte einen Befund an den pladdernd gestikulierenden Tag. In der Ausgabe der Emder Zeitung war auf der Titelseite die komischste Schlagzeile jenes jungen Jahres zu bestaunen, eine Sentenz, welche die drei auf der Straße mit einem Kontrabass bewaffneten, ins Allgemeingut hineingerutschten Chinesen von der Spitzenposition fegte: "Vier Ostfriesen züchteten Cannabis in ehemaligem Bordell". Da kam die Polizei, ja was ist denn das? Sex & Drugs & Rock n Moinmoin? Ist nicht Minnie Schönberg, die Mutter und Managerin der Marx Brothers, 1865 in Dornum geboren worden, südöstlich von Norderney, in Hörweite eines Möwenschreis entfernt?
Kurz vor Schließung der Wahlurnen also Musik, zwo, drei, vier und gemeinsam mit Groucho Marx tirilieren wir: "Whatever it is, Im against it".
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