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die wahrheitZungenschläge des Erfolgs

Zu Besuch in der Massenschreibfabrik von Schanghai.

Stolze 80 Etagen ragt das LiZenS, das Literaturzentrum Songjiang, in den rußigen Himmel von Schanghai. Den Eingang bewacht eine monumentale Statue des Schriftstellers Alexandre Dumas - des "alten" Dumas, dem die Welt unsterbliche Werke wie "Die drei Musketiere" verdankt. Herr Li, der Leiter des Zentrums, erwartet uns zu Füßen des großen Franzosen. In perfekt perlendem Deutsch ruft er uns zu: "Willkommen, edle Langnasen aus dem Land der wohlgeteerten Fahrzeugwege!"

Herr Li lächelt unergründlich, als wir über seine Wortgewandtheit staunen: "Die meisten Mitarbeiter unseres nichtswürdigen Etablissements, o hochverehrte Barbaren, beherrschen außer Ihrer tschinellengleich zirpenden Sprache mindestens 20 weitere träge Zungenschläge des Fernen Westens." Beeindruckt folgen wir ihm ins Foyer.

Dort zelebriert die Betriebssportgruppe "Fliegende Schnürfüße" uns zu Ehren den Schlussakt der Peking-Oper "Mao Zedong bezwingt den Jangtsekiang mit der quecksilbrigen Gewandtheit des Tümmlers". Besonders spektakulär neben den 4.000 Tänzern und Sängern: die 100 Delfine, die eigens für das Spektakel abgerichtet wurden und zur Nationalhymne Chinesiens mit Fahnen des Landes jonglieren. Auf die Frage nach den Gefäßen, in denen die Tiere jeweils zu fünft ihre possierlichen Künste vorführen, erwidert Herr Li fast einsilbig, dies seien "selbstverständlich" die Töpfe, in denen "die Genossen Kleinwale" später zu Suppe und Potenzmitteln eingekocht würden. Sud und Pülverchen reiche man heute nebst Hund süßsauer "beim erbärmlichen Mittagstisch in unserer schäbigen Kantine". Kein Zweifel: Das LiZenS bemüht sich, seine rund 4.000 Mitarbeiter kulinarisch bei Laune zu halten!

Und das ist auch nötig. Denn in dem termitenstockartigen Gebäude entstehen nicht etwa billige Elektronikkopien von iPhone, YouTube oder WeCan - sondern Buchtexte. Erst vor vier Jahren als Joint Venture mehrerer westlicher Großverlage mit einem Schanghaier Hinterhofbetrieb gegründet, liefert das LiZenS bereits heute gut neun Zehntel der Manuskripte aus, die in Europa und Amerika gedruckt werden. Und das zu einem Bruchteil der Kosten. Denn was die Schreibkollektive hier produzieren, wird nicht nach Seiten, sondern nach Kilogramm bezahlt. Deshalb auch steht der alte Dumas vorm Eingang. Auf ihn geht die Idee zurück, namenlose Schreiberteams Bücher verfassen zu lassen, um sie später unter eigenem Namen zu veröffentlichen. Diesen genialen Einfall haben die findigen Asiaten nicht minder genial schanghait.

Die Kollektive arbeiten nach thematischen Schwerpunkten. So produziert die Abteilung "Nichtiges Wissen" Sachbücher, die später unter Kunstnamen wie "Claus Leggewie", "Eckart von Hirschhausen" oder "Richard David Precht" zielsicher auf der Spiegel-Bestsellerliste landen. Die Schreibgruppe "Faselland" ist ausschließlich für die Romane von Daniel Kehlmann, Thea Dorn, Juli Zeh oder Uwe Tellkamp zuständig. Gute Kenntnisse der deutschen Sprache und stilistische Bravour, betont Herr Li, seien in diesem Kollektiv nicht erwünscht. In Tag- und Nachtschichten schuftet das Ressort "TV-Zombies", das gleich sechs Etagen des LiZenS-Turms belegt. Hier entsteht täglich ein Dutzend neue Autobiografien, Sexratgeber oder Reisetagebücher, die nach dem Zufallsprinzip mit Namen von Schauspielern, Moderatoren oder Musikern versehen werden. Gemerkt, so Herr Li mit unergründlichem Lächeln, hätten das bisher weder Publikum noch Kritik - und schon gar nicht die "Autoren" selbst.

Anhand des Kollektivs "Thriller" erläutert Herr Li uns die Produktionsmethode: 100 Männer und Frauen erarbeiten in einem Großraumbüro auf der 27. Etage Romane von Schriftstellersimulationen wie Dan Brown, Tom Clancy und John Grisham. In nur zwei Tagen entstand hier auch Frank Schätzings aktueller Reißer "Limit". Das Geheimnis der Blitzproduktion liegt in der Spezialisierung: So sind die einen ausschließlich für "endloses Pseudofachgebabbel" zuständig, andere für "spannungsarme Verfolgungsjagden" und der Rest für "zielloses Zeilenschinden".

Die Expansion seiner Firma, schwärmt Herr Li, sei noch lange nicht am Ende. Das exzessive Outsourcing deutscher Zeitungsverlage eröffne dem LiZenS ganz neue Geschäftsfelder. Warum sein Betrieb keinen Stand auf der diesjährigen Buchmesse mit dem Partnerland Chinesien habe, möchten wir zum Abschied von unserem Gastgeber wissen. "Sie stellen die falsche Frage, geschätzte Investigateure aus dem Imperium der Idioten", erwidert Herr Li und lächelt noch unergründlicher. "Ermitteln Sie lieber, welche Stände uns nicht gehören …"

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1 Kommentar

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  • L
    Lorimar

    Also lustig ist das wirklich nicht. Man liest das, und es fällt einem nur der Woody Allen Buchtitel ein: "100 Jahre deutscher Humor". Ein dünnes Buch. Grüße aus Rußland!