die wahrheit: Eine Bahn namens U
Hauptstadtmysterien: Wieso fährt die Berliner U-Bahn oben?

Die Berliner U-Bahn legt nicht unerhebliche Strecken als Hochbahn zurück. Geht man davon aus, dass das U in U-Bahn für Untergrund oder unterirdisch oder jedenfalls für irgendwas mit "unten" steht, so ist das doch ein wenig überraschend. Etwas, das unten heißt, sollte auch unten sein; schon deshalb, damit sich auch einfache Menschen in der Bundeshauptstadt zurechtfinden.
In anderen Städten ist es so: Wenn man sich eine Hochbahn anschafft, dann leistet man sich auch eine qualifiziert besetzte Namensfindungskommission, zum Beispiel in Wuppertal, wo das Ding "Schwebebahn" heißt. Eine Bezeichnung, die bei keinem die Lebensverhältnisse klar überblickenden Menschen die Erwartung weckt, sie werde unter der Erde fahren.
Es ist zudem davon auszugehen, dass Wuppertal von Anfang an eine solche Hochbahn gewollt hat, weil nur so damals dieser Elefant in die Wupper fallen konnte. Denn "fallen" beschreibt gemeinhin die mehr oder weniger kontrollierte Überwindung eines Höhenunterschieds durch zügige Abwärtsbewegung. In einer echten U-Bahn ist das selbst für gut ausgebildete Zirkuselefanten praktisch nicht durchführbar. Mit Folgen: Wuppertal wäre um das prägende Ereignis seiner Stadtgeschichte ärmer.
In Berlin ist es nun schon seit über einhundert Jahren anders. Die U-Bahn fährt oben. Warum? Liegts am Berliner Dialekt? Weil es zum Beispiel im Berlinischen nicht "oben" heißt, sondern "uben"? Das kann man ausschließen. Sonst müsste es ja auch "onten" heißen. Man kann sogar sagen, dass oben eines der seltenen Worte ist, die im Berlinischen genauso lauten wie im Hochdeutschen, nämlich oben. Also ist das Ganze vielleicht die Folge einer ganz normalen Verwechslung. Ist ja jedem schon mal passiert: rechts und links verwechselt, drücken und ziehen, tschechische Damentoilette mit tschechischer Herrentoilette, was im Übrigen zu Bekanntschaften führt, deren Qualität sich auch ohne vertiefte Kenntnisse der Landessprache erschließt.
Nehmen wir einmal an, das seinerzeit mit dem Bau einer Untergrundbahn beauftragte Unternehmen hat die Bauzeichnung falsch herum gehalten und deswegen eine Hochbahn errichtet. Zweifellos ein Sachmangel im Sinne des Schuldrechts. Denn wer unten leisten soll, kann nicht oben leisten, jedenfalls nicht mit befreiender Wirkung. Eigentlich hätte der damalige Magistrat das ganze Ding zurückgeben müssen. Hat er aber nicht. Die Frage lautet: Warum nicht?
Vermuten kann man Folgendes: Er hatte ein schlechtes Gewissen. Weil er zur Bewältigung des innerstädtischen Personennahverkehrs eigentlich etwas noch ganz anderes geplant hatte, eine Art Rohrpost vielleicht oder eine innerstädtische Luftschiff-Linie. Was man in der Kaiserzeit außer Panzerkreuzern halt so baute. Beides natürlich unsinnig, wobei Letztgenannte aber immerhin die schöne Namensschöpfung Zeppelinie ermöglicht hätte. Vorwürfe sind fehl am Platze.
Denn um 1900 wusste man eben noch nichts über urbane Mobilität. Es gab damals noch keine belastbaren Daten zu den Fragen: Wollen wir überhaupt, dass Menschen von einem Stadtrand zum anderen gelangen? Welches Verkehrsmittel schüttelt die wenigste Flüssigkeit aus bereits geöffneten, aber noch nicht abgetrunkenen Bierflaschen? Und wie laut darf es in den Kurven quietschen? Warum das mit der Errichtung betraute Unternehmen vom Auftrag abwich, liegt im Dunkeln. Doch man stelle sich nur einmal vor, man müsste von Bahnhof Zoo nach Rathaus Steglitz die "Hindenburg" nehmen - allein die Löschkosten jedes Mal bei der Landung würden den Etat sprengen. So gesehen ist Berlin mit seiner aufgeständerten U-Bahn noch ganz gut davongekommen.
Mosern kann man natürlich trotzdem.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme