die wahrheit: Deutschland übernimmt
Seit Wochen war darüber gemunkelt worden. In einschlägigen Kreisen. Hinter vorgehaltener Hand. Wie man so schön sagt. Den Ausschlag muss Anfang März eine Umfrage...
... von Infratest dimap gegeben haben. Auf die Frage, welches Land derzeit den EU-Vorsitz innehabe, hatten 38 Prozent der Bundesbürger mit Deutschland, 32 Prozent mit Carla Bruni & Nicolas Sarkozy und der Rest mit Tschechoslowakei geantwortet. Auch die nächste Frage, was man unter einem Zapatero verstehe, hatte weder etwas am Wortlaut noch an der Proportion der Antworten geändert.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm teilte gestern mit, es sei "höchste Eisenbahn gewesen, die Reißleine zu ziehen. Die Bundeskanzlerin konnte den französischen Präsidenten davon überzeugen, dass die spanische Haushaltslage rigoros sanktioniert werden muss. Mit Sozialisten wie Zapatero lässt sich kein Staat, geschweige denn eine EU machen. Auch die Nicht-Akzeptanz Spaniens durch unsere Bürger ist alarmierend." Sarkozy habe nach anfänglichem Zögern zugestimmt, dass Deutschland zum 1. April die spanische Ratspräsidentschaft übernehme. Um den Eindruck eines Scherzes zu vermeiden, gebe man den Wechsel erst jetzt bekannt.
Die Kanzlerin selbst wurde am Abend in den "tagesthemen" noch deutlicher: "Was wir da in den letzten Wochen mit Griechenland angestellt haben, war doch ein haarsträubendes Szenario. Versetzen Sie sich mal 30 Sekunden in die Lage von Herrn Papandreou: Der Mann macht seit geraumer Zeit nichts anderes, als mit seinen Knien den Elysée-Palast, mein Kanzleramt und Barrosos Büro in Brüssel zu bohnern. Geschieht ihm auch recht. Aber jedes Mal, wenn er anrutscht, sitzt schon wieder dieser Paella-Fresser aus Madrid mit im Raum. Der gibt ihm dann Ratschläge. Erklärt ihm die Maßnahmen. Vertritt die EU-Politik.
Finden Sie das nicht ekelhaft? Spanien hats auf ganzer Linie versaut. Die müssen mal anfangen, vor der eigenen Türe zu kehren. Und zum Beispiel diesen Richter an die Leine nehmen, Sie wissen schon, den mit dem Haftbefehl gegen Pinochet. Der bringt es noch fertig und steckt seine Nase in die Kundus-Affäre. Aber im Grunde ist es mir auch ganz wurst, wie die Spanier ihre Probleme lösen, Hauptsache ist, wir Deutschen bekommen unsere Ausfuhren an den Mann. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: Ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien! Dem kann ich mich nur anschließen."
Mit sichtlicher Zerknirschung erduldet das Gros der Spanier die Züchtigung aus Berlin. Was den bekanntesten Richter des Landes, Baltasar Garzón, betrifft, haben sich mutige Bürgerbewegungen wie die Beamten- und Raumpflegergewerkschaft "Saubere Hände" und die altehrwürdige Falange-Partei aus der Reserve getraut, um ihm das schmutzige Handwerk zu legen. Garzón hatte sich im Herbst 2008 an dem Amnestiegesetz von 1977 vergriffen, Ermittlungen zu den Verbrechen des Franco-Regimes eingeleitet und 19 Massengräber geöffnet. Damit hat er sich nun ein Verfahren wegen Rechtsbeugung eingehandelt.
In einschlägigen Kreisen zirkuliert das Gerücht, der neue deutsche EU-Vorsitz wolle den Klägern ein wenig unter die Arme greifen. Verteidigungsminister zu Guttenberg habe ein Team aus Rechtsexperten zusammenstellen lassen, das er als "Delegation Condor" nach Madrid entsenden wolle. Es handle sich bei diesem Unternehmen jedoch um ein "betontermaßen umgangssprachliches".
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