die wahrheit: Hoch die Tassen!
Gestern feierten die Anonymen Alkoholiker ihren 75. Geburtstag – in einer anonymen amerikanischen Stadt.
"Thank you for sharing", sage ich, nehme dem Rotgesichtigen das Bier aus der Hand, versenke sein Schnapsglas darin und stürze die ganze Suppe im Handumdrehen hinunter. Er schaut mich waidwund aus seinen geäderten Marmoraugen an und schlägt mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich schlage zurück, und irgendwann weinen wir gemeinsam. Der Rotgesichtige erzählt von gescheiterten Ehen und gebrochenen Versprechen, ich zeige meinen letzten Kontoauszug vor, und wir einigen uns auf unentschieden. Jetzt noch einen klitzekleinen Allerletzten, und dann wird berichtet.
Die Anonymen Alkoholiker feiern heute ihren 75. Geburtstag, und ich bin eingeladen – in eine anonyme amerikanische Stadt. Nicht, dass es einen besonderen Grund für meine Anwesenheit gäbe. In meiner Branche saufen sie doch alle. Der Rotgesichtige pflichtet mir bei, in seiner Branche saufen sie auch alle, sagt er. Er ist ein Guter, ich habe aber schon vergessen, aus welcher Branche.
Überall blinken Lichter, Automaten klingeln und dingeln. Man weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist. Nur wegen der Chronistenpflicht stehe ich hier herum, vertreibe mir mit dem Rotgesichtigen die Zeit und schäkere mit der elefantenbeinigen Trixie, die unserer Hotelbar als Serviertochter vorsteht. Der Rotgesichtige ist jeden Tag hier, sagt Trixie. Spielerisch weise ich auf mein leeres Glas, ebenso spielerisch schüttelt Trixie den Kopf. Es reicht, bedeutet sie mir.
Der Rotgesichtige und ich, wir kramen unsere letzten Scheine und Münzen aus den Taschen, ich lege das Wort "Love" mit Vierteldollarmünzen auf die Theke. Der Rotgesichtige behauptet, dass er aus den Scheinen Schwäne falten könne, aber es werden doch nur unordentliche Klumpen. Wir drapieren die Klumpen um das Wort herum und machen für Trixie das liebe Gesicht.
"Youre beautiful", sage ich und Trixie nickt, weil sie auf mich steht. Das merkt man. Wir bekommen noch eine Runde, aber kein Wechselgeld zurück. Die Hotelhalle des Mirage füllt sich mit Menschen. "Das sind alles Alkoholiker", freut sich der Rotgesichtige und sagt etwas, mit dem selbst er nicht zitiert werden möchte. Wir schauen auf nüchterne Menschen, und die sind bekanntlich kein schöner Anblick, wenn man selbst etwas beschwipst ist.
Die Alkoholiker tragen Namensschilder, und deswegen versuchen wir, ihre Namen mit einem Kuli durchzustreichen, weil sie doch sonst nicht mehr anonym wären. Das verstehen sie aber nicht. Ich muss ihnen den Witz dreimal erklären, und sie schauen trotzdem bös.
Der Rotgesichtige brüllt etwas, von dem ich nur "Fuck" verstehe und haut mir auf die Schulter. Ich soll auch etwas brüllen, findet er, und deswegen brülle ich ein Karnevalslied. Es kommt super an, zumindest beim Rotgesichtigen. Er ruft "Beerfest", schwenkt sein Glas einladend den Alkoholikern entgegen, und dann erklärt er mir, was man unter "Mooning" versteht, aber Trixie sagt, wenn wir unsere Hosen nicht anbehielten, würde sie den Sicherheitsdienst rufen.
Der Rotgesichtige meint, dass er den Typen vom Sicherheitsdienst kenne, das sei sein Schwager oder so, und macht an seinem Gürtel herum. Aber er ist nicht schnell genug, denn als er seinen Hintern endlich aus der Hose gefummelt hat, sind die Anonymen Alkoholiker schon nach oben zu ihrem Dings gegangen, über das ich berichten soll.
Aber der Mann vom Sicherheitsdienst kriegt es noch mit. Der Rotgesichtige hängt ihm mit halb heruntergelassener Hose im Arm und will die Familienverhältnisse klären. Es gebe keine, befindet der Sicherheitsmann angewidert und schubst den Rotgesichtigen weg. Mich redet er mit "Sir" an, weil ich meine Hose noch anhabe, aber ich soll auch lieber gehen, meint er: "You are leaving now!"
In der Etage über uns werden Stühle gerückt, das Dings der Anonymen Alkoholiker beginnt. Ich muss jetzt diese Treppe hochsteigen und zähle vorher sicherheitshalber die Stufen. "Es sind zwölf Stufen", brülle ich vor Vergnügen, "Twelve steps, like, you know …"
Der Rotgesichtige weiß es, er findet das auch komisch. Wir schaffen es aber nicht einmal bis zur ersten Stufe, weil wir immer stolpern und vom Sicherheitsmann in Raufhändel verstrickt werden. Hernach wird die Polizei gerufen und die Berichterstattung kommt vollends zum Erliegen. Dennoch: Happy Birthday.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Ille
Gast
Ein Anonymer Alkoholiker sagte mir zu dem Artikel: "Das ist genauso erschreckend brutal und realistisch wie Charles Bukowski seine Romane schrieb!
Und wenn nur ein Alkoholiker sich in dem Artikel wiedererkennt und daraufhin zu AA findet, dann hat der Schreiber mit dem Artikel einen wertvollen Dienst geleistet.
Als Nicht-Alkoholikerin werde ich nie so denken können wie Alkoholiker und daher gar nicht den Sinn eines solchen Artikels bis in die letzte Feinheit verstehen.
Andi
Gast
Wie wahr, wie wahr Marie. Bei diesem Artikel kann man nur froh sein das es auf einer Satire Seite erschienen ist... Trotzdem ist es traurig über eine Krankheit mit seinen Folgen und den Geburtstag der größten Selbsthilfegruppe der Welt die seit 75 Jahren versucht etwas dagegen zu tun, so mit Füßen zu treten... Aber das "zeichnet" diese Zeitung halt aus...
Marie
Gast
Peinlich für die taz!
Etwas mehr Recherche wäre hier vor der Berichterstattung wohl angebracht gewesen!
Und sowas in der heutigen Zeit, wo Alkoholprävention in jeder Schule zum Lehrplan gehört!
Sam Lowry
Gast
klaus for "Wahrheit-President" !!! (warum ein kleines K?)
klaus
Gast
Das ist nicht mal annähernd lustig, bitte schließt diese Rubrik.