die wahrheit: Die komische Oper der Scorpions
Mein Freund Dietrich und ich hatten Pressekarten für die Scorpions, standen also nicht da unten beim schwitzenden, Hörner zeigenden, sich windenden Volk, ...
... eben dort, wo es eigentlich Spaß macht. Nein, wir saßen feist und bequem oben auf den hochpreisigen Rängen, in der Nähe der städtischen Honoratioren, dem Geldadel, dem gepflegten Bildungsbürgertum und den Tennispartnern der Band.
Man hatte sich schick gemacht. Die Herren im Anzug, die Damen im Blüschen, eine betäubende Note Chanel No. 5 lag einem schwer auf der Brust. Das hier war Gift für Asthmatiker. Wer kurz die Augen schloss, wähnte sich beim alljährlichen Weihnachtseinkauf in der Douglas-Filiale seines Vertrauens, dazu passte die Musik ja auch irgendwie. Und wer sie dann erschreckt wieder aufmachte, dachte eher an Oper. Die komische allerdings.
Nachdem Dietrich einsehen musste, dass sein Allzeit-Songfavorit der Band, "In Trance", heute wohl nicht mehr kommen würde, gingen wir zum Rauchen nach draußen. "Man muss der Lunge was anbieten", nickte er auffordernd. Leiblich gestärkt gingen wir zurück zu unserer Sitzreihe, aber weil sich nun etwa sieben Menschen für uns hätten erheben müssen, suchten wir uns einfach zwei freie Plätze weiter oben – und das muss die sehr gepflegte Mittfünfzigerin in der Reihe vor uns erstmals gepeinigt haben.
Sie drehte sich indigniert um. Wir waren doch eben noch nicht da, trugen auch keine Krawatten, nicht mal Sakkos. Ja, sollten wir nicht eigentlich da unten bei den anderen stehen? Schmarotzten wir hier nur wieder wie all die anderen Hartzer Stinker in unserem Land, denen man ruhig mal im Winter ein bisschen die Heizung abdrehen könnte?
Wir waren ihr lästig, das sah man. Und als ich dann auch noch dem Freund meine unmaßgebliche, aber nach fünfundzwanzigjährigem Nachdenken immerhin gut abgehangene Meinung über die Qualitäten der Band auseinandersetzte, und das ausgerechnet bei ihrem Lieblingslied "Wind of Change", da wurde die Frau richtig giftig. "Also wirklich, können Sie nicht ein bisschen ruhig sein!" Offenbar konnte sie der filigranen Melodieführung des Flötisten Klaus Meine nicht so folgen, wie es sich seiner Kunst geziemt hätte.
Rock n Roll ist was anderes, dachte ich resignierend. Aber da bot ihr Dietrich die Stirn und blaffte zurück. "Nun stellen Sie sich mal nicht so an. Soll ich Ihnen einen Kopfhörer bringen lassen?" So oder ähnlich waren seine Worte, ich konnte ihn nicht genau verstehen, Rudolf Schenker knallte uns gerade ein Dreifingersuchsolo vor den Latz.
Die Dame hatte wohl mit so viel Gegenwehr nicht gerechnet und zog den Kopf ein, strafte uns fortan mit Nichtachtung. Aber als sie dann im Zugabenteil mitsamt ihrer Entourage das Haus vorzeitig verlassen musste, um ohne Abfahrtsstau vom Parkplatz zu kommen und weil ja morgen auch noch ein Tag ist, da schluckte sie ihren Stolz hinunter und nahm doch noch einmal Kontakt mit uns Plebejern auf. So viel darf ich sagen, eine Kusshand warf sie uns nicht zu. Aber ich ihr.
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