die wahrheit: Ab in die Sinndimension!
Unternehmensberatung heute - Wenn die Kirche zum Consultant wird.
Hat das alles noch einen Sinn? Das fragen sich auch Manager und Banker seit der Wirtschaftskrise immer häufiger und kasteien sich ob der Unbill, die in den vergangen beiden Jahren über sie hereingebrochen ist. Doch an wen sollen sie sich wenden in ihrer Not? Wer hilft und richtet die Gebeutelten seelisch wieder auf in dieser schweren Stunde?
Wenn es nach der Diözese Rottenburg-Stuttgart geht, ist die Antwort klar: Jesus, der alte Zausel! Die ökonomisch interessierten Prediger aus dem Schwabenländle haben, findig wie sie nun einmal sind, hierzu eine eigene Unternehmensberatung gegründet, die auf den fruchtig-unchristlichen Namen Kiwi AG hört.
An dieser Stelle drängt es sich auf, noch einmal die Eingangsfrage nach dem Sinn zu stellen. Also: Warum, zum Teufel? Wo bleibt denn der Sinn, wenn weihrauchbenebelte Pfarrer geldgeile Manager mit 2.000 Jahre alten Weisheiten bestäuben? Aber halt, so plakativ darf man sich das bestimmt nicht vorstellen, schließlich hat gerade die katholische Kirche immer wieder bewiesen, wie ausgesprochen modern, weltoffen und realitätsnah sie ist. Und dass viele Banker und Unternehmensbosse angesichts ihrer hoch riskanten Geschäfte ein solides Gottvertrauen nötig hätten, will vermutlich auch kaum einer bestreiten.
Aber neben Gottvertrauen fehle ihnen noch manch anderes, wie der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart Gebhard Fürst in einer Pressemitteilung anlässlich der Gründung von Kiwi verlauten lässt: Man habe sich nämlich zu diesem "radikalen und für die katholische Kirche einmaligen Schritt" entschlossen, weil den Märkten "eine klare und wichtige Perspektive wirtschaftlichen Handelns abhanden gekommen" sei, kurz: die "Sinndimension". Gleiches bemängelt auch Manfred Dahm, Vorstandssprecher der Jesus-Consultants: "Die oft einseitigen ökonomischen Rationalitäten sollen durch den Faktor Sinn erweitert werden."
Also, Schluss mit dem wirtschaftlichen Unsinn und Bühne frei für den religiösen! Der wahre Sinn steckt bekanntlich ja nur in Jesus - und bald womöglich auch in einer neuen Einheit von Kirche und Wirtschaft, wie Manfred Dahm prophezeit: "Wir sollten aufhören, Wirtschaft kaputt zu säkularisieren, denn das macht die Kultur und den Menschen, damit auch die Profitabilität der Firmen, kaputt." Diese Ansichten eröffnen in der Tat völlig neue Sinndimensionen - möglicherweise ist es sogar an der Zeit für ein neues Wirtschaftssystem? Weg mit der alten sozialen Marktwirtschaft, her mit dem heiligen Kanzelkapitalismus!
Endlich scheint auch die Kirche erkannt zu haben, dass mit dem säkularen Staat nicht mehr viel anzufangen ist in Sachen Machterhalt, weshalb sie nun ganz auf die Stärke der Ökonomie setzt. Da entspinnen sich sofort die schönsten Vorstellungen, wie Papst Benedikt XVI. zum Warren Buffett des Vatikan wird und anfängt alles aufzukaufen, was sich nicht schnell genug bekreuzigt. Auch gibt es unzählige Möglichkeiten, richtig dicke ins Geschäft einzusteigen. Warum nicht eine christliche Investmentbank gründen oder mit einem brandgefährlichen Hedgefonds alle Dornbüsche von hier bis zur Sahara aufkaufen?
Zu guter Letzt könnte man auch an die großen Erfolge vergangener Tage anknüpfen. Man denke nur an den einst so lukrativen Ablasshandel, ein bombiges Geschäftsmodell. Das könnte heute wieder prima funktionieren, wenn man die richtige Zielgruppe trifft. Nehmen wir einmal BP: Wie viel würde man da wohl bezahlen, um sich vor Gott wieder reinzuwaschen?
Aber das sind Zukunftsträume, so handfest wie die Visionen von Propheten. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart steht erst am Anfang dieser neuen Entwicklung. Dennoch könnte sich die Unternehmensberatung lohnen, wo doch die Kollekte dank zunehmender Kirchenaustritte heute etwas leiser klingelt.
Und damit keiner glaubt, die knallharte Kapitalismuskirche tut hier irgendetwas aus Nächstenliebe, versichert der Aufsichtsratsvorsitzender der Kiwis, Dr. Joachim Drumm, dass Firmen bereit und in der Lage seien, für gute Beratung zu bezahlen. Und er ergänzt: "Wir rechnen uns gute Marktchancen aus und haben uns vorgenommen, in fünf Jahren als das Beratungsunternehmen etabliert zu sein, wenn es in Deutschland um sinn- und wertezentriertes Wirtschaften in Unternehmen geht." Wer wollte an dem unerschütterlichen Glauben dieses Mannes zweifeln?
Und falls es doch mal schwer wird für Dr. Drumm auf seinem Weg an die Spitze der deutschen Wirtschaft, kann er sich immer noch an das firmeneigene Kriseninterventionstelefon wenden. Wie eine Telefonseelsorge ist es bei Notfällen rund um die Uhr erreichbar und eignet sich besonders für Unternehmer und Führungskräfte in persönlichen Notlagen. Am anderen Ende der Leitung sitzt selbstverständlich Jesus persönlich und gibt wertvolle Tipps zu Personalentwicklung, Betriebsrenten und dem richtigen Umgang mit Mobbing.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?