die wahrheit: Chilisüchtig
Alles begann mit Mathildas Reise durch Mexiko und Guatemala. Als sie zurückkam, hatte die Sucht sie im Griff.
"Oje", sagte sie, "wo kriege ich in diesem kalten, verregneten Land bloß anständige Chilis her?" Sie lud mich zum Essen ein und machte überbackene Tortillas mit Rindfleisch und Bohnen. Es duftete göttlich. "Ich habe nur zwei milde, grüne Serranos verwendet", sagte sie, "vielleicht aber solltest du trotzdem vorsichtig sein."
Ich schob mir einen Happen in den Mund und war vom sensationellen Geschmack des Gerichts überwältigt. In der nächsten Sekunde aber zerplatzte ein Molotowcocktail in meinem Rachen. Vor meinen Augen sah ich Sternchen blinken, in meinen Ohren rauschte das Blut, die Nase lief - dann stürzte ich zum Wasserhahn. "Kein Wasser! Nimm Brot oder Joghurt!", rief Mathilda, doch zu spät: Ich trank in gierigen Schlucken, und eine Feuersäule rauschte meine Speiseröhre hinunter.
Ich keuchte, in meinem Inneren breitete sich ein Buschbrand aus, meine Eingeweide standen in Flammen, gleich würde ich von innen zu leuchten beginnen wie eine Kinderlaterne beim Martinszug. "Du willst mich umbringen, deinen ältesten, besten Freund!", japste ich und sank schnaufend zu Boden.
"So schlimm?", fragte Mathilda, nachdem ich mich wieder aufgerappelt hatte. "Es ist die Hölle!", hauchte ich. Dann säbelte ich mir einen weiteren Bissen von den Feuerrollen herunter. "Was machst du denn jetzt?", staunte sie. "Essen", sagte ich: "Die Dinger sind köstlich!" Ich kaute vorsichtig und genoss den kurzen Augenblick, in dem sich das herrliche Aroma entfaltete. Als dann der Molotowcocktail explodierte, stopfte ich einen großen Brocken Weißbrot hinterher, mit dem ich mich in kluger Voraussicht ausgerüstet hatte.
Wieder fauchte es in meiner Speiseröhre, wieder loderten meine Eingeweide hell auf - doch diesmal ging es schneller vorbei. Ich schmauste weiter, abwechselnd Tortilla und Weißbrot kauend, aß meinen Teller ratzekahl leer, schwelgte im Wohlgeschmack der Köstlichkeit, verputzte eine zweite Portion und saß den Rest des Abends hechelnd und wie eine Laterne leuchtend auf dem Sofa.
Von diesem Moment an war auch ich infiziert. Ich zog mit Mathilda durch die Stadt, um in muffigen Läden für exotische Spezereien nach extravaganten Sorten wie Chile Rocoto oder Chile Piquín zu suchen. Bald begannen wir, bei einem libanesischen Händler Sämereien zu bestellen und auf Mathildas Terrasse Chilisträucher in Blumenkästen zu züchten. Einmal kam während der Erntezeit Raimund vorbei. "O!", sagte er: "Die sehen aber lecker aus! Darf ich?" - "Nicht!", riefen wir, doch er zerbiss bereits eine Schote, gab ein entsetztes Keuchen von sich und rannte, einen brenzligen Geruch hinterlassend, zum Wasserhahn.
Dafür brachte er uns neulich von einer Reise nach München eine Rarität mit. "Boah!", staunten wir: "El Habanero! Der schärfste Chili der Welt! Danke, Raimund!" Wir kochten ein Gulasch damit. Es war eine Offenbarung. Noch tagelang stießen wir bei jedem Atemzug kleine Stichflammen aus.
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