die wahrheit: Wiesionen für die Wiesn
200 Jahre Oktoberfest. Die Zukunft des großen Münchner Volksfestes.
Das diesjährige Jubiläums-Oktoberfest schlägt alle Rekorde. Über eine Million Besucher kamen allein am Eröffnungswochenende, tranken eine Million Maß Bier und vertilgten eine Million - quatsch - zehn Ochsen und tausende Hendl. Und da das schöne Spätsommerwetter die ganze erste Woche andauerte, wird die 200 Jahre alte Mutter aller Massenbesäufnisse am Ende wieder einen neuen Rekord aufgestellt haben.
Der Erfolg der dieses Jahr angegliederten historischen Wiesn, die mit altertümlichen Fahrgeschäften wie "Calypso" oder "Fahrt ins Paradies" sowie täglichen Pferderennen die Besucher begeistert, ließ Festleiterin Gabriele Weishäupl gemeinsam mit ihren Mitarbeitern über die Zukunft der Wiesn sinnieren. "Die Stimmung in unserem Drinktank ist einfach großartig. Bei unseren täglichen Sitzungen im Armbrustschützenzelt haben wir bei der einen oder anderen Maß einige Ideen entwickelt, wie sich die Wiesn in den nächsten Jahren präsentieren könnte. Wir sind zwar ein traditionsbewusstes Volksfest, haben aber auch komplette Sympathie für Innovationen aller Art." Hier also die Weishäuplschen "Wiesionen", die schon ab dem nächsten Jahr neue Besucherschichten auf die Theresienwiese locken sollen:
Die Nachhaltigkeits-Wiesn
Ein Prosit der Entschleunigung! Die ausschließlich mit Ökostrom betriebenen Fahrgeschäfte der Alternativ-Wiesn setzen ganz auf den nostalgischen Reiz unendlicher Langsamkeit. Im Schneckentempo fahrende Berg-und-Talbahnen oder der Prius-Scooter mit sensorgesteuertem Abstandshalter bringen Spaß mit Nachhaltigkeitsgarantie. Brenzlig wird es erst, wenn dem solarbetriebenen Dreifachlooping während der Fahrt der Strom ausgeht. Die Bio-Wiesn wird den Lohas, den Freunden des lifestyle of health and sustainability, selbstverständlich auch ein gastronomisches Angebot der Premiumklasse bieten. Sepp Krätz, Festwirt des "Lohadrom", erklärt, warum: "Natürlich kannst du der Zielgruppe nicht mit Batteriehendln und turbogemästetem Ochsen kommen. Wir werden sie mit hochwertigen Schmankerln wie Steckerl-Tofu oder der eigens gebrauten Wiesn-Bionade verwöhnen." Wer es noch eine Idee sanfter haben mag, wird sich dann wohl im Roibusch-Zelt eine schöne Kanne Gesundheitstee hinter die Binde gießen können.
Die Barras-Wiesn
Deutsche Jungmänner, die nicht mehr gemustert werden und keinen Einlass finden in die Freiwilligenarmee Bundeswehr, wissen oft nicht, wohin mit all dem Frust, der ihnen auf der Leber lastet. Die Barras-Wiesn bietet da Neuinterpretationen klassischer Volksbelustigungen wie "Hau den Taliban" oder "Teufelsrad Hindukusch", die hier für Erleichterung sorgen können. Der von Heckler & Koch gesponserte Schießstand ist eine der vielen Attraktionen, mit denen die Führung der Bundeswehr auf dem Oktoberfest Traditionspflege gestalten will - und die natürliche Anlaufstelle für den verhinderten Bürger in Uniform. Selbstverständlich wird auf der Barras-Wiesn scharf geschossen. Im Kuriositätenkabinett "Auf gehts beim Unterschichtl" darf dann zum Abschluss eines zünftigen Wiesn-Bummels politisch herrlich inkorrekt gelacht werden - zum Beispiel über Suleika, die Burka-Maus ohne Unterleib.
Die Downsizing-Wiesn
Nach Jahrzehnten des Höher, Schneller, Weiter soll sich die in den kommenden Jahren stattfindende Downsizing-Wiesn in ungewohnter Bescheidenheit üben. Statt immer neuer Megaattraktionen bei den Fahrgeschäften haben sich die Schausteller ganz dem "Weniger ist mehr" verpflichtet. So soll der Aufwand in vielen Bereichen minimiert werden: Die Geisterbahn wird unaufwendig mit ausgemustertem Politpersonal bestückt, die Steilwandfahrer treten dann mit dem Elektrofahrrad an und die Achterbahn ist in Zukunft nur noch ebenerdig unterwegs. Downsizing ist naturgemäß auch ein äußerst erfolgreiches gastronomisches Konzept: So sollen die Portionen von der Ochsenbraterei bis zur Fischer-Vroni halbiert werden - und die große Wiesn-Maß, die sowieso schon immer von schleichender Auszehrung bedroht war, soll endgültig auf einen halben Liter downgesized werden.
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