die wahrheit: Herz, Design und Schnodderpumpe
Neulich träumte ich, die Zunahme des Kugeldesigns sei ein sicherer Indikator für den Niedergang einer Gesellschaft, ebenso wie das Überhandnehmen ...
... von Kochshows im Fernsehen. Es war der erste Designtheorietraum, den ich hatte, und hoffentlich auch der letzte. Ich werde nämlich von Design verfolgt.
Aldi verkauft Designtelefone. Außerdem bietet der unappetitliche Discounter mit Fleisch gefüllte Fleischtaschen an. Das ist natürlich auch Design, Fooddesign, aber da schreiben sie es nicht drauf. Auf "Design-Topfschwamm, 3 Stück für 1,99" warte ich auch immer noch.
Dabei ist Design heute ebenso sehr ein Versprechen wie ein Verbrechen. "Designerkleidung" verheißt einen ominösen Mehrwert des Trauerspiels, das man sich um die Wampe windet. Warum? Weil es teuer war. Und sind die Billigklamotten von Hasi und Mausi vom Himmel gefallen, oder hat die vielleicht auch jemand designt? Na?
Bei dysfunktional gestalteten Dingen des täglichen Lebens wie Kaffeemaschinen, die sich beim Einschalten in ihre Bestandteile auflösen und einen Schwall heißen Schlamm ungebremst in die Welt bzw. in die Küche entlassen, heißt es dann komischerweise auch: Designerteil. Wir könnten so glücklich sein, wenn die Gestalter nicht wären. Denn dann würden wir in einer amorphen Masse leben, die sich nicht wesentlich von den unansehnlicheren Teilen unseres Körpers und seinem Inhalt unterscheiden würde. Der Urschlamm war garantiert undesignt. Gestaltung ist wie fast alles in der Welt: Es gibt sie in gut und in schlecht, leider häufiger in schlecht oder zumindest in fragwürdig.
Fragwürdig ist neuerdings auch das Herz. Insbesondere jener fränkische Trottel, über den niemand mehr etwas lesen möchte, ist daran Schuld: Er entschuldige sich "von Herzen", ließ er vermelden, aber nicht für seine Idiotie, sondern bei den Menschen, "die er verletzt" habe, also ja wohl in erster Linie mal bei sich selbst. Einmal in der Metapher befangen, greinte er auch noch, wie schwer es ihm falle, sich von seinem Amt zu trennen, an dem er doch "mit Herzblut" klebe. Meines Wissens haben in seinem Wirkungsbereich zuletzt andere ihr Herzblut vergossen, und zwar final. Ein Schicksal, neben dem sein bissel Job-weg doch wohl eher Banane ist, oder?
Seine Chefin war sofort begeistert von dem Schmus und bedauerte den Abgang ihres zackigen Helden ebenfalls "von Herzen". Bin ich denn die Einzige, die froh wäre, wenn in der Politik der Verstand wieder eine größere Rolle spielen würde?
Neulich träumte ich, Baron Gutti würde eine Lodenkollektion designen, und zwar mit Herzblut. Ich hörte ihn vor Anstrengung schnurcheln, aber als ich erwachte, saß ich immer noch im Zug vor Kassel, und das Geräusch explodierte aus einem schwer erkälteten Mitreisenden. Ich hätte gern umgehend einen Sounddesigner für Schnodderpumpen bestellt, aber es kam nur der mobile Brezelverkäufer vorbei. Ich kaufte eine, brach ihr die zarten Rippen heraus, und kann jetzt auf meine Visitenkarte "Brezelherzdesignerin" lettern lassen. Und habe damit die Welt gewiss verbessert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!