die wahrheit: Die Siebenmeilerstiefel
Im wundersamen Atomlande: Das Märchen von der Energiewende.
Es war einmal ein fernes Land, da lebte eine Königin mit ihren beiden treuen Pagen Markus und Mappus. Markus war ein stolzer Prinz aus Bajuwaristan, Mappus ein beratungsresistenter Verkehrsexperte aus Schwabylonien. Der größte Stolz der Königin waren siebzehn sehr große, schneeweiße Eierbecher, die über das ganze Land verteilt waren. In jedem dieser ovalen Gewölbe lebte ein großes Huhn, das goldene Eier legte, und beim stillen Brüten rußfreie Wärme abgab. Die Leute, denen die Hühner gehörten, hätten gern mit dem Eierlegen ewiglich weitergemacht und weil es sich für sie rechnete, gern noch ein paar mehr von den Eierbechern aufgestellt. Hühner gab es genug.
Weil die Eierbecher aus Rigips waren, boten sie die größtmögliche Sicherheit und standen nicht in irgendwelchen kleinen Käffern am Arsch der Welt, die Biblis hießen und auch so aussahen. Die Kommunen, stets auf der Suche nach Touristenattraktionen, prügelten sich darum, ein solches Ei in ihrer Stadtmitte aufstellen zu dürfen. So gab es denn ein Ei am Kölner Dom, eins in Neuschwanstein, eins stand auf der Freifläche, die durch den Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs entstanden war.
Leider gab es in dem fernen Land auch eine winzige unverbesserliche Minderheit von dreißig Millionen paranoiden Apokalyptikern. Die versammelten sich regelmäßig vor dem Palast der Königin und riefen: "Kleinvieh macht auch Mist. Wo soll die ganze Hühnerkacke eigentlich hin, wenn die siebzehn Viecher pausenlos brüten?" Die Königin focht das nicht an, sie saß in ihrem wärmegedämmten Passivschloss und ließ die Dinge auf sich zukommen. Wegen der Doppelglasfenster waren die paranoiden Apokalyptiker nicht zu hören. Hühnerkacke konnte man unter den Teppich kehren. Wer hätte das besser gewusst als Markus und Mappus. Dadurch schärften sie ihr Profil.
Eines Tages tauchte am östlichen Horizont in weiter Ferne eine dunkle Wolke auf. "Was hat das zu bedeuten?", fragte die Königin. Ihr schwante Übles, denn sie hatte einen seismografischen Sinn für Wählerwanderungen. "Der Wind hat sich gedreht", sagten Markus und Mappus und richteten ihre Mäntelchen. Plötzlich war auch die winzig kleine Minderheit vor dem Schloss nicht mehr zu überhören. Vielleicht war es ein Riss in der Außenhaut, vielleicht hatte Mappus auch nur vergessen, Oropax für die Königin zu kaufen. Dreißig Millionen, dachte die Königin und rechnete im Kopf kurz nach. Das könnte teuer werden.
"Wir brauchen eine Energiewende", rief sie und hopste von ihrem hohen Ross. "Majestät, das sehen wir ganz genau so", riefen Markus und Mappus. Beide waren erfahrene Energiewendehälse und trotz ihres Alters über die Maßen gelenkig. So machten sie sich auf dem Weg zum Orakel.
Das Orakel karwieselte gerade in der Küche an seinem neuen Ceranplattenherd herum. Als die Königin eintrat, rief das Orakel höchst erfreut: "Hey Babe, wie isses denn so? Alles Schnucki in Kentucky?"
"Leider nicht", seufzte die Königin. "Wolke, Wählerwanderung, Energiewende. Kannst du mal kurz helfen? Vielleicht mit einer tragfähigen Brückentechnologie?" Das Orakel schob den Milchreis von der Platte, es ließ nichts anbrennen: "Über sieben Brücken musst du gehen, sieben Landtagswahlen überstehen, siebenmal wirds Asche schneien, und am Ende steht du ganz allein."
"Geht das auch Klartext?", nölten Markus und Mappus. Das Orakel wurde größer, richtete sich auf, reichte bis zur Decke, riesig stand es vor der Königin und ihren beiden Pagen: "Hört auf, gegen Windmühlen zu kämpfen."
"Geht klar", nickte die Königin. "Nur diesen Teil mit ,ganz allein' am Ende, den habe ich nicht verstanden. Heißt das …?"
Das Orakel schnurrte wieder auf normale Größe zurück und rührte den Milchreis um: "Woher soll ich das wissen, schließlich bin ich ein Orakel: eine mit Hilfe eines Rituals oder eines Mediums gewonnene transzendente, häufig göttliche Offenbarung, die der Beantwortung von Zukunfts- oder Entscheidungsfragen dient. Steht genau so bei Wikipedia, hab ich selbst dort eingetragen. Du kannst gern mit Karte bezahlen."
Und mit Siebenmeilerstiefeln kehrte die Königin in ihren Palast zurück und entschied, dass noch am gleichen Tage die sieben ältesten und gebrechlichsten Hühner mit dem Brüten aufhören mussten. Die dreißig Millionen paranoiden Apokalyptiker standen hysterisch vor Glück vor dem Schloss und brachten ein dreifaches Vivat auf die mutige Entschlusskraft der heldenhaften Königin aus, welche die sieben Landtagswahlen locker alle in die Tasche steckte.
Und wenn sie nicht gestorben ist, dann herrscht sie da noch heute … Doch still, hört ihr nicht das Klopfen? Markus und Mappus zerlegen mit dem Eierlöffel den Eierbecher am Stuttgarter Bahnhof. Und schon in 100.000 Jahren werden sie damit fertig sein.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Das Frühstückchen
Gast
Manchmal führt die taz-Wahrheit dazu, daß ich mich beim Frühstück vor dem Laptop fast verschlucke vor Lachen.
Heute habe ich das Müsli komplett über den Tisch verteilt...
Gratulation, das ist die schönste taz-Glosse des Jahres!