die wahrheit: Verzaubert in Tiere
Die merkwürdigen Namen der Kriege unserer Zeit. Was verbirgt sich hinter der vom US-Militär gewählten Bezeichnung "Die Morgendämmerung des Odysseus"?
Kriege, auch militärische Teiloperationen laufen gewöhnlich unter Codenamen. Wie diese zustande kommen, ist nicht bekannt. Aber die meisten Namen sprechen nicht für ein Gespür der Militärs für Obertöne. Die israelischen Militärs tauften ihren letzten Krieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung "Gegossenes Blei". Das fröhliche Bleigießen artete in ein Stahlgewitter aus: Zehn israelische Soldaten von rund 30.000 und etwa 1.300 palästinensische Zivilisten sowie Kämpfer kamen darin um.
Bei den deutschen Militärs zeugen die Codenamen oft von Zynismus: Der Bombenangriff auf die Stadt Coventry vom 14. November 1940 lief unter dem Namen "Mondscheinsonate". Die Leute des deutschen Widerstands nannten ihre Aktion, Hitler zu stürzen - nach dem Erlass zur Niederschlagung innerer Unruhen vom 31. Juli 1943 - "Walküre". Ein angekündigter Selbstmord? Zumindest bei Wagner wird die Walküre Brünnhilde, die gegen Wotan Widerstand leistete, grausam bestraft.
Der Irakkrieg der USA von 1991 hieß "Desert Storm" ("Wüstensturm"). Die Operation zur Absicherung der Flugverbotszone im Irak vom Dezember 1998 lief unter dem Namen "Desert Fox" ("Wüstenfuchs"). Die Topografie spielt bei der Benennung von militärischen Operationen keine Rolle, denn Bagdad war kein Wüstennest, sondern schon eine blühende Stadt, als Washington noch im Urwald lag und London ein kleiner Marktflecken war.
Historisch hat die Bezeichnung "Wüstenfuchs" eine für die britisch-amerikanische Waffenbrüderschaft von 1998 peinliche Pointe. Deutsche Militärs schwärmten fürs Füchsische. Im Zweiten Weltkrieg gab es drei so genannte Operationen: "Polarfuchs", "Silberfuchs" und "Platinfuchs". Den ersten Rang belegte aber der "Wüstenfuchs". So nannte man Generalfeldmarschall Erwin Rommel, der vom 12. Februar 1941 an den Afrikafeldzug der Wehrmacht kommandierte. Der britische General Montgomery, der den "Wüstenfuchs" Rommel und seine Truppen am 30. Juni 1942 bei El Alamein stoppte, hätte wenig Verständnis dafür, dass Tony Blair britische Soldaten unter der Parole "Wüstenfuchs" in den Luftkrieg schickte. Die Schlachten bei El Alamein und Tobruk kosteten nämlich 35.400 britischen und 16.500 amerikanischen Soldaten das Leben.
Jetzt ist wieder Krieg in Libyen, und die Militärs erfanden mehrere Codenamen für ihre Unternehmen. Für die Briten heißt der Krieg im Zeichen des "muskulösen Liberalismus", so Premier David Cameron, "Operation Ellamy" nach einem weiblichen Vornamen, für die Franzosen "Opération Harmattan" nach einem afrikanischen Landwind mit Sandstürmen, die jetzt Feuer und Schrecken verbreiten.
Den im wahrsten Sinne des Wortes Vogel schossen allerdings die Amerikaner ab. Sie nennen ihren Krieg gegen Gaddafi "Odyssey Dawn", das heißt: "Morgendämmerung der Odyssee." Wenn man den Militärs nicht eine gigantische Fähigkeit zur Selbstironie zusprechen möchte, enthält der Name gleich mehrere heikle Prognosen.
Homers "Odyssee" setzt nach dem Sieg der Griechen in Troja ein, und die Rückkehr des Helden Odysseus dauerte nicht weniger als zehn Jahre. Sieben davon verbrachte er bei der schönen Nymphe Kalypso "in ihrer gewölbten Grotte" (Homer) auf der Insel Ogygia. Dann kehrte Odysseus bei der Zauberin Kirke auf der Insel Aiaia ein. Kirkes Spezialität: Sie verzauberte Menschen in Tiere, was in Kriegen oft auch ohne Zaubertrunk klappt. Aus der Hälfte von Odysseus Gefährten machte Kirke zunächst Schweine, bevor sie den Zauber widerrief, als sich der Krieger Odysseus bettwillig zeigte und ein Jahr blieb. Die Königstochter Nausikaa auf der Insel Scherië verschmähte Odysseus mit dem Hinweis auf seine wartende Ehefrau Penelope.
Wenn man die Nomenklatur der amerikanischen Militärs wörtlich nimmt, steht die Operation "Morgendämmerung der Odyssee" erst ganz am Anfang. Die Soldaten haben also noch einiges vor sich, bevor sie zurückdürfen zu Frauen und Kindern.
Die zentralen Fragen dieses antiken Symbolbildes lauten: Wo im Luftkrieg "Morgendämmerung der Odyssee", der von Militärflugplätzen und Flugzeugträgern aus geführt wird, ist Platz für Homers Frauenpersonal? Lauschige Orte wie die Inseln Ogygia, Aiaia und Scherië sind auf den Nato-Stützpunkten und den Kriegsschiffen bisher nicht vorgesehen. Und wie lange bleiben die Penelopes standhaft?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative