die wahrheit: Schwarze Gedanken
Kürzlich ist bei einem Bundesligaspiel ein Linienrichter nach einem Bierbecherwurf zu Boden gegangen...
...Mühevoll rappelte sich der Fahnenschwenker wieder auf und erstattete dem entsetzten Referee Bericht. Dieser brach zwei Minuten vor Schluss das Spiel ab, und als Strafe sollte der gastgebende Verein St. Pauli mit einem Geisterspiel bestraft werden. Das Bulletin des Getroffenen aus der Kabine aber lautete: "Es geht ihm den Umständen entsprechend gut!"
Drei Tage später war derselbe Linienrichter schon wieder im Einsatz, diesmal in der Champions League, den "menschenverachtenden Wurf", so ein Sprecher von "Liga Total", hatte er offensichtlich gut verkraftet. Was sind das nur für Schiedsrichter, die beim großen Bruder petzen und so einen Spielabbruch erzwingen?
Souverän wäre es doch gewesen, den Becher zu nehmen, den Rest Bier auszutrinken und ihn zurück ins Publikum zu werfen, damit das Pfand eingelöst werden kann. Oder so zu handeln wie Schiedsrichter Florian Meyer, der einmal im Spiel Stuttgart gegen Bayern vom Verteidiger Tasci gefoult wurde, stürzte und noch im Moment des Fallens weiter pfiff - wohlgemerkt nicht das Foul an ihm.
Einen anderen Geist vermittelte auch die Replik des Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder auf Paul Breitners Anwurf "Du pfeifst heute wie ein Arsch!". Ahlenfelder entgegnete dem Bayernrüpel: "Du spielst heute wie ein Arsch!" So gehts doch auch. Heute hätte sich der Schiedsrichter wahrscheinlich fallen lassen und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen herumgewälzt. Wie konnte es nur zu dieser Verzimperlichung unserer Schiedsrichter kommen?
In der Gründerzeit des Fußballs, als die Schiedsrichter noch geachtet und geschätzt wurden, leiteten sie ihre Spiele im Sonntagsstaat, meist einem dunklen Anzug. Später kam zur schwarzen Jacke noch die kurze, kniefreie Hose. Die Jacke wurde nach dem Krieg durch ein schwarzes Trikot ersetzt, das Äußere eines Schiedsrichters blieb aber all die Jahre über würdevoll und respektabel.
Doch ab 1994 verloren die Schiedsrichter jede Autorität und Selbstachtung, erstmals ließ der DFB farbige Trikots für Schiedsrichter zu. Schon 1980 wurde die gute alte Sitte der Männer in Schwarz aufgeweicht, als erstmals farbige Kragen erlaubt wurden. Mit den später folgenden bunten Geckentrikots kamen die Schiedsrichterskandale. 2005 der Wettskandal um Robert Hoyzer und 2010 die Kussaffäre mit den Herren Amerell und Kemper.
Die Schiedsrichter mutierten zu bunten Spaßvögeln, und die Spieler nutzten ihren neuen Spielraum konsequent. Nun durften sie erstmals in der schwarzen Farbe ihrer Spielleiter antreten und so optisch Angst und Schrecken verbreiten. Der damalige Schalker Ingo Anderbrügge klagte denn auch: "Ich habe zum ersten Mal gegen eine Mannschaft mit schwarzen Trikots gespielt. Das ist ja schlimm. Man denkt, da laufen lauter Schiedsrichter herum."
So wurden die Bayern zur gefürchteten schwarzen Bestie, der "bestia negra", wie die Spanier sie ängstlich nannten - das war noch vor dem "Feierbiest" van Gaal. Bald wollten alle in Schwarz spielen, sogar die "Roten Teufel" aus Kaiserslautern und die stets weißgekleideten "Königlichen" von Real Madrid, die vorher "Das weiße Ballett" hießen.
Auch die ansonsten nette deutsche Nationalmannschaft bekam 2010 schwarze Auswärtstrikots, so dass der südafrikanische Daily Star vom "Nazi-Style" der Deutschen giftete. In Südafrika spielten dann ironischerweise die Deutschen in Schwarz gegen Ghana, die wiederum in Weiß antraten. Es war schwer für die Reporter, sich anzügliche Scherze zu verkneifen, und selbstverständlich siegten die Weißen auch in Schwarz.
Wie aber mag die Entwicklung von schwarzgekleideten Spielern und bunten Schiedsrichtern weitergehen? Im Internet kann man inzwischen einen sturzbetrunkenen weiß(!)russischen Schiedsrichter auf dem Spielfeld bewundern, der wohl mit seinem Torkeln den Niedergang des Schiedsrichterwesens nicht symbolischer darstellen könnte. Wir Freunde des Frühlings und des Fußballs warten indes immer noch gespannt auf die allererste Schiedsrichterschwalbe der Fußballgeschichte. Sie wird irgendwann sicher kommen.
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