piwik no script img

die wahrheitHüter der Blutgrätsche

Der Zeugwart: Der schwerste Job beim Deutschen Fußball-Bund.

Wenn vom Deutschen Fußball-Bund die Rede ist, denken die meisten nur in Superlativen: an den größten Sportverband der Welt oder an die sagenhafte Anzahl von Welt- und Europameisterschaften, die der DFB errungen hat. Aber niemand hat den wichtigsten Job vor Augen, den der DFB zu bieten hat: den Zeugwart.

Da, wo 1954 in der Schweiz noch ein Adi Dassler höchstpersönlich die verloren gegangenen Stollen ersetzte und die Nägel bis in die Fersen rammte, um den Stürmern Dampf zu machen, hat sich für den aktuell amtierenden DFB-Zeugwart Thomas Mai mittlerweile eine ganze Palette zusätzlicher Aufgaben hinzugesellt. Eine besteht zum Beispiel in der sicheren Verwahrung der Torjägerkanone, die am Ende der Saison dem erfolgreichsten Torschützen verliehen wird. Nicht auszudenken, dieses schwere Geschütz käme schon mitten in der Saison abhanden und würde dann bei Spielen eingesetzt.

Doch zum Glück steht sie in einem Safe des DFB, vom jeweiligen Zeugwart bewacht. Eine Zahlenkombination aus 21 Ziffern, von denen drei Personen nur je sieben kennen, macht einen Diebstahl höchst unwahrscheinlich. Die Zahlen ruhen sicher im Gedächtnis des Zeugwarts, des DFB-Präsidenten und des Spielausschussvorsitzenden.

Ähnlich schwierig verhält es sich mit der Verwahrung der berühmten Blutgrätsche, die vor Jahren aus dem Verkehr gezogen wurde, weil sie plötzlich auf dem Platz verpönt war. Für sie ist Thomas Mai nicht nur Zeugwart , sondern auch Altenpfleger mit allen Höhen und Tiefen, den der Alltag in der Pflegebranche mit sich bringt. Täglich muss Mai dahin gehen, wo es wehtut.

Selbstverständlich betreut der gelernte Kfz-Schlosser Mai auch die alte, aus dem 19. Jahrhundert stammende Kamera, mit der sämtliche Sammelbildchen von Fußballspielern geschossen werden. Ein kaiserlicher Vertrag mit der Sammelbildfirma Panini verpflichtet den DFB seit dem Jahr 1901, nur mit diesem antiquierten Apparat die ausgesucht hässlichen Fotos anzufertigen.

Im Tresor befindet sich außerdem noch eine weitere Angriffswaffe, mit deren sachgemäßen Umgang die Fußballer von heute kaum mehr vertraut sind: die Original-Flügelzange der Dörfel-Brüder, mit der der HSV der frühen sechziger Jahre so manche Abwehr geknackt hat. Nicht auszudenken, sie käme im modernen Fußball zum Einsatz. Sie würde bei so manchem Eisenfuß in der Viererkette einen bleibenden Abdruck hinterlassen.

Ähnlich verhält es sich mit der Abseitsfalle. Noch zu Zeiten eines Uli Stielicke eine verlässliche Allzweckwaffe, um gegnerische Sturmläufe ins Leere laufen zu lassen, ist sie heute durch die unzähligen Regeländerungen beim Abseits obsolet geworden. So gab es beim DFB auch den Plan, sie dem seligen Jupp Derwall zum ehrenden Vermächtnis als Grabbeilage mitzugeben.

Mit der Brechstange liegt ein weiteres Utensil im Safe, das möglicherweise in der Nach-Löw-Ära wieder wichtig werden könnte, wenn es bei einem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel in der 88. Minuten einen 0:4-Rückstand aufzuholen gilt. Dann muss sie vielleicht doch noch einmal ausgepackt werden, weswegen sie von Zeugwart Mai auch alle Vierteljahr neu eingefettet und scharf gemacht wird.

Ständig in Schuss gehalten wird auch die Bananenflanke. Immer wenn Horst "Ungeheuer" Hrubesch als Betreuer eine neue Jugendauswahlmannschaft in ein Turnier führt, gibt es vorher eine Klassenfahrt in die Frankfurter Otto-Fleck-Schneise, um den jungen Kerls das sagenhafte Fruchtbarkeitssymbol des deutschen Angriffsfußballs zu demonstrieren.

Noch kniffliger aber dürfte die Verwahrung und Auslieferung der berühmten Roten Laterne für den Tabellenletzten sein, die dem Zeugwart obliegt. Als am 31. Spieltag der aktuellen Bundesligasaison nach dem Gladbacher Heimsieg gegen Dortmund der FC St. Pauli auf Tabellenplatz 18 zurückfiel, fuhr der tapfere Zeugwart am Sonntagabend an den Niederrhein, um die Laterne persönlich in Mönchengladbach abzuholen. Alle Würdenträger von Berti Vogts bis Rainer Bonhof kamen ihm schon weit außerhalb der Stadt entgegengeritten, um ihm das Menetekel auszuhändigen, das sie dort fast die gesamte Saison in den Kellergewölben unter dem alten Bökelberg bunkern mussten. Beliebt ist das Rotlicht jedenfalls nicht, und doch musste der arme Mai noch in der Nacht nach Hamburg ans Millerntor, um nun dort die Laterne aufzuhängen.

Grundsätzlich abgelehnt wird das Rotlicht allerdings von manchen Leuchtkräften des Fußballgeschäfts wie Jupp "Osram" Heynckes oder Ulli "Blutdruck" Hoeneß. Die Aufgabe der Roten Laterne könne man selbst besser erledigen, heißt es bei den Lichtgestalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!