die wahrheit: Statt Hochzeit in die Wunderbar
Kolumne Neues aus Neuseeland: Viel habe ich ja nicht mitbekommen in den letzten Wochen, aber eines ist auch am Land der langen weißen Wolke ...
... nicht spurlos vorbei gegangen: die Hochzeit. Ja, die. Fast vergessen - und doch so erschreckend nah. Zu nah. Da wünscht man sich, wir wären endlich Republik und von der Untertanenschaft befreit. Aber nein, es gab kein Entrinnen, auch nicht auf die Entfernung.
Einen Vorteil hatten wir: Bei uns war es bereits Abend, als Kate und Will vor den Traualtar traten. Und wir hatten gerade auch was zu feiern. In Lyttelton eröffnete nach all den Trümmerwochen wieder die Wunderbar, unser Phönix aus der Asche. Sie hat viel roten Plüsch, ein Akkordeon über der Theke, Puppenköpfe als Lampen und ein Bügeleisen als Türklinke. Die Wunderbar war eine Ikone des Nachtlebens unseres angeknacksten Hafenviertels und hat allen Naturgewalten der letzten Monate getrotzt. Pünktlich zur Prinzenhochzeit wurde sie von sämtlichen Nachteulen, Tresentigern und Musikmaniacs heimgesucht, die seit dem 22. Februar nichts mehr zu feiern hatten. Und das waren viele. Es bebte und brummte in der Wunderbar. Grandiose Bands traten auf und stellten ihre Benefiz-CD namens "Harbour Union" vor, die unserem halb abgerissenen Ort wieder auf die Beine helfen soll. Doch das klappte nicht bei allen Zuschauern, wie ich als Augenzeugin erlebte.
Ich war mit drei Männern dort. Einer kippte im Laufe des späten Abends berauscht um, der Rest hielt bis zwei Uhr morgens durch. Zu Hause musste dieser Rest dann aber doch noch - "nur ganz kurz mal, komm, das muss sein!" - bei Windsors und Middletons reingucken. Die zittrigen Herrenhände fanden vor Aufregung kaum die Fernbedienung. Schlimmer als mit schwulen Freunden beim Eurovision-Gucken war das. Aber so war ich dann für ein paar Minuten doch noch live in London dabei. Meine müden Augen erspähten die Kutsche und erhaschten einen Blick auf unseren Premierminister John Key.
Der trug, und das ist im Nachhinein wirklich berichtenswert, einen Anzug aus heimischer Wollfaser. Am nächsten Tag las ich, dass die Kiwis dank Johns Jackett besonders nah dran am königlichen Geschehen waren. "Lokaler Bezug" nennt man das. Wenn schon keine neuseeländische Schneiderin das Brautkleid entwerfen durfte - Designvorschläge hatte es vorher in allen Publikationen reichlich gegeben, es war wie ein verzweifelter Spießrutenlauf durch Burda-Schnittmuster -, so hatte doch quasi eines von uns, also ein Merinoschaf, den Auftritt am Buckingham-Palast veredelt. Das machte alle Kiwis noch ein bisschen stolzer.
Ähnliches war schon im letzten Jahr geschehen, als ein Brite erstmals den gesamten Amazonas entlang wanderte. Und was hatte er - Schlagzeile! Lokal-Bezug! - auf dem Rücken? Einen Rucksack "made in New Zealand". Auch ich bin jetzt stolz. Die "Harbour Union"-CD ist direkt nach Erscheinen in den Top Ten der einheimischen Charts gelandet, dank all der Verkäufe am ersten Abend. Meine königsbegeisterte Herrenbegleitung hat ganze Arbeit geleistet.
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