die wahrheit: Feierabend für Führer
Wohin mit den Altdiktatoren? Diese Frage beschäftigt die Staatengemeinschaft nicht erst, seit in der arabischen Welt die Tage der fröhlichen Volksunterdrückung gezählt scheinen...
...Rückstandsfreies Entsorgen wie im Fall Saddam Hussein sorgt für öffentlichen Protest. Langwierige Gerichtsverfahren belasten den Steuerzahler und die Gesundheit der Diktatoren, die stundenlanges Zuhören nicht gewöhnt sind.
Ein erfrischend neuer Ansatz kommt nun vom Hamburger Sozialarbeiter Paul Fedder, der ein ungewöhnliches Projekt gestartet hat, um den ehemaligen Tyrannen eine neue Perspektive zu bieten: betreutes Wohnen für Exdiktatoren. "Die Medien schreiben groß von ,Diktatoren-Dämmerung', und dabei wird ganz ausgeblendet, dass die Jungs, sobald sie aus dem Amt gejagt wurden, tatsächlich nur noch vor sich hin dämmern. Wenn der Tyrann nix mehr zu tyrannisieren hat, dann wird aus dem Teufel ein Eichhörnchen!", ereifert sich Fedder. Seine Aufgabe sei es, den Eichhörnchen zu helfen, ihre Nüsse wieder zu finden.
Fedder hat vor acht Monaten einen alten Klinikkomplex in Ochsenzoll nahe Hamburg günstig erstanden und umgebaut. Hier sollen Altdiktatoren einen altersgerechten Ruhestand genießen und durch Therapien sozial reintegriert werden. Den Jüngeren unter ihnen wird ermöglicht, auch beruflich neu Fuß zu fassen und sich zum Beispiel als Marktfrau auf dem Wochenmarkt ein Zubrot zum Taschengeld zu verdienen.
Gesprächsangebote, kreative Bastelrunden, Therapiesitzungen und gemeinsames Kochen - das Programmangebot in der Einrichtung zielt darauf ab, die Extyrannen dort abzuholen, wo sie stehen geblieben sind. "Und wenn das alles nichts hilft, erlauben wir auch schon mal dem einen oder anderen, unser Küchenpersonal zu unterdrücken", fügt Fedder sanft lächelnd hinzu.
Die Einrichtung erfreut sich großer Beliebtheit unter Exdiktatoren, was nicht zuletzt an dem Auslieferungsabkommen liegt, das der findige Fedder mit dem Internationalen Strafgerichtshof geschlossen hat. "Die waren froh, dass sich einer um die Herren kümmert. Teilweise sind die im Umgang ja etwas anstrengend."
Voraussetzung für eine Überweisung in Fedders Einrichtung ist die regelmäßige Teilnahme an den Kursangeboten. Das sorgt auch schon mal für Tränen. So hatte sich der liberianische Exdiktator Charles Taylor einen Tag in seinem Zimmer eingeschlossen, als er für den sonntäglichen internationalen Brunch ein landestypisches Gericht beisteuern sollte. "Charles wollte unbedingt was aus der Haute Cusine kochen, weil das angeblich liberianisch sei. Das ist typisch für diese verzogenen Führer, die kennen nur importierte Luxuswaren! So läuft das hier aber bei mir nicht", beschwert sich der resolute Chefkoch der Einrichtung, Ottwald "Otti" Pfeiffer.
Ein unkomplizierter Gast hingegen ist der nordkoreanische Spitzendiktator Kim Jong Il. Er unterhält die gesamte Belegschaft mit Parodien westlicher Politiker. Besonders Angela Merkel soll er perfekt imitieren können. "Eigentlich ein feiner Kerl, aber oft schrecklich deprimiert", urteilt Fedder. Kim Jong Il nimmt inzwischen regelmäßig an der Gruppentherapie teil, die jeden Montag stattfindet und sich meistens mit ihm beschäftigt. Denn Kim leidet an einem tiefen Trauma, das der Wirtschaftsboykott der USA bei ihm hinterlassen habe, erklärt Fedder. "2008 hat er tatsächlich vier Monate auf Hummer verzichten müssen! Dabei war das doch seine Leibspeise."
Noch sind diverse Zimmer in Ochsenzoll frei, auch wenn fast täglich Neuanwärter eintreffen - so wie Muammar al-Gaddafi. Der Libyer wollte sich nur nach einer "geeigneten Bude umschauen, die nicht tagtäglich von diesen Nato-Affen bombardiert wird", wie er wütend aus seiner Fantasieuniform heraus schreit. Doch jetzt ist er in Ochsenzoll geblieben. Denn er hat Gefallen gefunden am Creative-Writing-Kurs, der freitags stattfindet. "Der Mann hat ein enormes Potenzial!", schwärmt Fedder. "Sein Essay über die wahren Schuldigen des Libyen-Kriegs sollten Sie mal lesen! Da tauchen gelbe Aliens auf, die sieben Zwerge, Michael Jacksons Nase und ein Rehpinscher namens Hemingway."
Doch werden nicht alle Diktatoren aufgenommen. "Der Tunesier Ben Ali war jetzt probeweise für zwei Wochen hier, aber wir sind uns nicht sicher, ob wir ihn wirklich aufnehmen sollen. Bei jeder Mahlzeit lässt er das Besteck mitgehen. Er hortet das Zeug unter der Matratze. Das wird uns dann doch zu teuer", meint Fedder und tätschelt dem allerneuesten Ankömmling die Wange: Robert Mugabe aus Simbabwe. Der Strom der Diktatoren reißt offenbar nie ab.
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