die wahrheit: Wer bist du denn, Herr Duden?
Gerne würde ich diese Kolumne mit dem Satz "Die Silos sind ziellos" beginnen, aber ich befürchte, das wäre es dann auch schon gewesen.
G erne würde ich diese Kolumne mit dem Satz "Die Silos sind ziellos" beginnen, aber ich befürchte, das wäre es dann auch schon gewesen, weil mir nicht viel mehr zum Thema orientierungslose Getreidespeicher einfiele. Ein anderer lang gehegter Wunsch von mir besteht darin, in einem Theaterstück eine Figur über ein originelles Möbelstück sagen zu lassen: "Ich finde diesen kombinierten Ess/Tee-Tisch sehr ästhetisch!" Aber auch das wäre inhaltlich nicht sehr ergiebig. Außerdem gibt es zwar "Esstische", aber keine "Teetische", oder doch? Ich glaube grade zu fühlen, dass es "Kaffeetische" gibt, oder verwechsele ich das nur mit dem Ausdruck "Kaffeetafel"?
Im englischsprachigen Raum gibt es mit Sicherheit "Kaffeetische", dort heißen sie selbstverständlich "coffee tables" und waren früher dazu da, einen Platz zum Abstellen der Kaffeetasse zu haben, während man in der Couchgarnitur herumlümmelte. Heute jedoch dienen sie in erster Linie als Ablage für die sogenannten "coffee table books". Das sind bilderreiche, großformatige Bücher für Analphabeten aus dem Besitzbürgertum, die bei jemandem zu Besuch sind und für Minuten im Wohnzimmer alleine gelassen werden.
Während sie also darauf warten, dass die Gastgeberin endlich ihre Slipeinlage justiert hat, blättern sie zum Zeitvertreib in den herumliegenden "coffee table books", die oft von englischen Landhäusern, spektakulären Naturschauspielen oder arabischen Fürsten-Gestüten handeln. Bei uns heißen die den "coffee tables" entsprechenden Tische übrigens nur "Beistelltischchen" und sind somit funktionslos. Ihr einziger Zweck ist, irgendwo bei-, also dazugestellt zu werden. Ohne wirkliche Existenzberechtigung! Wenn das mal kein sozialpolitisches Pulverfass ist!
Aber nochmal zurück zu den englischen "coffee tables": Da die Funktion dieser Tischchen inzwischen vom Abstellen der Kaffeetassen zum Ablegen der "coffee table books" geswitched ist, sollte man sie heutzutage konsequenterweise "coffee table book tables" nennen. Ich werde sofort einen Brief an die Herausgeber des "Dictionary of English Language and Culture" formulieren. Obwohl dieses Nachschlagewerk schon jetzt das beste der Welt ist. Dort stehen nämlich nicht nur massig englische Wörter drin, man kann auch viele andere Informationen daraus entnehmen. Es gibt sogar einen Eintrag "Gallaghers, the: two brothers who were part of the British Rock Group Oasis. They are known for fighting and swearing, for drinking a lot of alcohol and taking drugs".
Das nenne ich popkulturelles Bewusstsein. Kann sich etwa jemand vorstellen, dass es im deutschen Duden einen Eintrag "Gabriel, Gunther" geben könnte und da vielleicht auch noch zu lesen wäre: "deutscher Countrysänger, bekannt für alkoholisierte Bierzelt-Auftritte. Publikums-Beschimpfungen und exzessives Von-der-Bühne-Fallen"? Wohl kaum! Deutsche Lexikografen sind in Bezug auf popkulturelle Phänomene nach wie vor so ziellos wie Silos in einer lauen Altweibersommernacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf