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die wahrheitSicher mit Superjürgen

Ein ungewöhnlicher Kampf gegen die Kriminalität.

Zivilcourage ist für Jürgen N. nicht einfach nur ein Wort. Zivilcourage ist eine Lebenseinstellung. Etwas, das man nicht einfach ablegen kann. Etwas, das einen das gesamte Leben lang begleitet.

Der 38-jährige Speditionskaufmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Straßen Berlins sicherer zu machen. "Gerade in der Nacht, wenn es dunkel wird, wenn sich die Kriminellen aus ihren Löchern trauen. In solchen Momenten will ich zur Stelle sein", so der engagierte Berliner. Er hat genug von den unsinnigen Gewaltausbrüchen, den unzähligen Taschendieben, den Pöbeleien und Belästigungen. Er will etwas tun. Und um dieses Anliegen voranzutreiben, bedient sich Jürgen N. bei seinem seit Jahrzehnten angesammelten Wissen über Comics.

"Als ich mir Gedanken darüber gemacht habe, die Straßen sicherer zu machen, wollte ich diese beiden Sachen verbinden. Ich bin ein großer Fan von Heldencomics, von Superman und Batman und wie sie alle heißen mögen. Die sind ja eigentlich auch alle ganz normale Menschen. So wie ich."

Jürgen N. sieht seine Chance und entwickelt eine Kunstfigur, die in der Nacht auf Gangsterjagd gehen soll. "Erst hatte ich mir eine Figur ausgedacht, die halb Leguan und halb Roboter war. Aber die Verkleidung war viel zu sperrig, ich konnte ich mich kaum bewegen. Die Kriminellen waren immer schneller." Auch die folgenden, von ihm erdachten Helden ("Nette alte Dame", "Vogelmann" und "Der Glotzer") erweisen sich als zu schwierig, zu behäbig, nicht für den Kampf gegen das Kriminelle gerüstet. Doch Jürgen N. gab noch lange nicht auf.

"Ich wollte das Ganze etwas peppiger gestalten und mit Verweisen auf die Popkultur verbinden." Seitdem läuft er grell aufgemacht durch die Straßen Berlins. In knallbunten Leggins, einem körperbetonenden Oberteil, einer witzig-schrillen Perücke und einer Hupe, die sein Markenzeichen geworden ist.

"Die Leute lieben das. Ich bin überall bekannt. Die Leute fühlen sich sicher. Die wollen, dass ich die Hupe benutze." So ausgestattet läuft er durch den Wedding, durch Schöneberg und Friedrichshain, manchmal auch durchs Regierungsviertel und kämpft gegen das Verbrechen. Und tatsächlich, viele Berliner kennen den selbsternannten Kämpfer gegen das Kriminelle, doch sicher fühlen sie sich durch ihn nicht. Einige meinen gar, dass sich Kriminelle extra an die Fersen des "Superhelden" haften, um ihm seine Grenzen zu zeigen.

Dafür sprechen die etlichen Krankenhausaufenthalte, die Jürgen N. in den letzten Jahren hinter sich bringen musste. Gebrochene Arme, Beine und Rippen, Messerstiche in Oberkörper und Gesäß, Prellungen, ausgeschlagene Zähne, das sind nur einige Verletzungen, die ihm sein Leben als Verbrechensbekämpfer eingebracht haben. Die anfängliche Skepsis gegenüber dem Helden ist in pure Aggression umgeschlagen. Unter Kriminellen ist der "Hupentyp" bekannt wie kein anderer.

Und so liegt er auch gerade wieder im Krankenhaus, weil ihn eine Kinderbande mehrere Tage lang in einer Holzhütte gefangen gehalten hat. "Das war ja gar nicht so böse von denen gemeint. Das ist natürlich etwas, das mein Superheldenkostüm mit sich bringt: Missverständnisse." Vorsichtig versucht er seinen linken Arm zu bewegen. "Da haben die Kids mir Blut abgenommen. Ich meine, das hat ja auch was Gutes. Die lernen, wie sie mit einer Spritze die Vene finden können."

Darauf angesprochen, ob das nicht ein sehr hoher Preis für seine Tätigkeit als "Superheld" sei, wird Jürgen N. nachdenklich: "Nein, der Preis ist nicht zu hoch. Mir geht es um Gerechtigkeit. Mir geht es darum, dass Rentnerinnen spätabends noch mal um den Block gehen können. Ich will, dass Familien wieder gemütlich im Park sitzen können, ohne entführt zu werden. Ich möchte, dass kleine Kinder keine Angst vor Raketenangriffen haben müssen."

Als Jürgen N. von einer Schwester ruhiggestellt wird, wird es auch im Krankenhaus etwas ruhiger. Der Tag geht. Die Straßen Berlins liegen feucht und schwarz in der Nacht. Schon hört man von Nachahmern, die sich am Vorbild von Jürgen N. orientieren und sich in grellen Kostümen auf die Lauer legen. Doch zu welchem Preis?

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