die wahrheit: Franzosen der quadratischen Art

Wo liegt Frankreich? Überall dort, wo Pastis getrunken, Boule gespielt und Gauloise geraucht wird - also zwischen der Bretagne und dem Elsass, ...

Wo liegt Frankreich? Überall dort, wo Pastis getrunken, Boule gespielt und Gauloise geraucht wird - also zwischen der Bretagne und dem Elsass, dem Nord-Pas-de-Calais und den Pyrenäen. Das etwas andere Frankreich präsentiert sich gern als Erinnerung daran, was die römischen Eroberer, die Christianisierung und die kapetingische Staatsgründung kaputt gemacht haben, was aber überlebt hat und zu den Spuren von Asterix, den Kelten und den Häduern führt.

Bei Caesar, der den Krieg gegen die Häduer und ihre Ausrottung beschrieben hat, heißen sie Aedui, im Französischen Éduens. Im burgundischen Autun, das die Römer errichteten, nachdem sie Bibracte - die Hauptstadt der Häduer - zerstört hatten, entstand im Mittelalter eine gotische Kathedrale mit einem weltweit berühmten Tympanon aus der Werkstatt des Meisters Gislebertus. Großen Teilen der heutigen Bevölkerung stehen die Gallier, Häduer oder Kelten aber irgendwie näher als die römischen Eroberer und ihre christlichen Nachfolger. Einmal im Jahr findet in Autun ein Spektakel statt, bei dem sich alle als Häduer oder Römer verkleiden, um die Niederlage der Häduer gegen die römischen Eroberer wenigstes theatralisch in einen Sieg zu verwandeln. Die Neu-Häduer gewinnen selbstverständlich die Schlacht gegen die Neu-Römer. Das Spektakel ist der lebendige Widerspruch aus dem Geist von Asterix und Obelix.

Von diesem Geist zehrt auch ein Wettstreit der besonderen Art: "Championnnat dEurope de boules carées" - also die Boule-Europameisterschaft mit quadratischen Kugeln. Schon dieser paradoxe Ausdruck ist eine Kampfansage an die cartesianisch-geometrische clarté des Denkens, deren sich die Franzosen seit Descartes "Discours de la méthode" (1637) rühmen.

Gespielt wird bei dieser Meisterschaft nicht mit Stahlkugeln, sondern mit eckigen Holzwürfeln von etwa zehn Zentimeter Kantenlänge, auch der cochon (das Schweinchen) ist ein etwas kleinerer Würfel aus Holz. Im Gegensatz zum Boulespiel (pétanque), das auf flachem Gelände gespielt wird, ziehen die Neu-Häduer abschüssig-steile Straßen vor, auf denen die Holzwürfel unberechenbar abwärtskullern. Für die Meisterschaft sperrte die Stadtverwaltung die steile Straße direkt an der Kathedrale. Der Bischof von Autun protestierte nicht gegen das heidnische Spektakel. Teilnehmen durfte jeder - also auch solche, die sich nicht als Nachfahren der Häduer fühlen, zum Beispiel Touristen und Einwanderer.

Die eingeborenen Neu-Häduer konnten ihren Startvorteil, die Übung im Werfen von Stahlkugeln auf ebenem Gelände beim normalen Boulespiel, mit dem neuen Gerät und auf ungewohntem Terrain nicht nutzen. Gewonnen haben zwei halbwüchsige Nachkommen von Einwanderern aus Algier und Vietnam. Sie rächten sich damit als Spätopfer der französischen Kolonisation im vorletzten Jahrhundert und der Diskriminierung im Alltag. Obendrein bewiesen sie die Überlegenheit des leichten Holzes und des schieren Zufalls über den schweren Stahl und die Berechenbarkeit des cartesianischen Denkens.

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