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die wahrheitFreaks in der Manege

Kommentar von Jenni Zylka

Zukunft gerettet! Kohle satt! Eine findige Orthopädin hat letzte Woche meine Rückenschmerzen untersucht, da unten, wo im Embryonenstadium der rudimentäre Wirbeltierschwanz saß ...

Z ukunft gerettet! Kohle satt! Eine findige Orthopädin hat letzte Woche meine Rückenschmerzen untersucht, da unten, wo im Embryonenstadium der rudimentäre Wirbeltierschwanz saß, kam triumphierend mit dem Röntgenbild zurück und pappte es an die erleuchtete Wand. "Da, zählen Sie mal: 1, 2, 3, 4, 5 … 6!" - "Ja und?" - "Sie haben sechs statt fünf Lendenwirbel. Und eine Bandscheibe zu viel. Das haben nur zwei Prozent aller Menschen." Hurra, ich bin Mutantin! Kein Wunder, dass der Buckel immer wehtut. Und ich dachte schon, es liegt an den meterhohen, zu engen Schuhen, dem vielen Gehen und dem vielen Sitzen.

Aber Pustekuchen. Ausgerechnet meine Mutter, die alte Schlesierin, zuppelte später die Lizenz zum Geldschneiden aus ihrer Ideenkiste: "Damit kannst du doch im Zirkus auftreten, Tochter!" Was extrem gelegen kommt, jetzt, wo die wirklich interessanten, exotischen Tiere nicht mehr bei der Show mitmachen dürfen, und fortan von Hühnern, Katzen und Ziegen gedoubelt werden.

Meine Nummer habe ich schon geplant: Die Lichtstimmung ändert sich von hell zu dunkel. Vorhang auf, Spot! Die Frau mit den sechs Lendenwirbeln! Mit bemehlten Händen und in einem hautengen, glänzenden Satinanzug mit Minirock, die Haare streng zurückgekämmt und zu einem lustigen Troddel gezwirbelt, betrete ich, die Fußspitzen stets vor den Hacken aufsetzend, die Manege.

Ich strecke die Arme aus, lächle aus dem stark geschminkten Gesicht, dann gehe ich ganz nahe an die ersten Reihen heran, und der Zirkusdirex weist per Mikrofon darauf hin, dass man das Wesen auch anfassen darf. Angeekelt und fasziniert zugleich tuschelt das Publikum, ein paar mutige Kinder patschen mir auf den Rücken und zeigen die Hand danach stolz ihren Freunden, ein paar Frauen fallen in Ohnmacht. Ich drehe langsam zwei Runden, während die Zirkuskapelle die Musik von "X-Men 3" anstimmt. Danach verschwinde ich winkend hinter dem Vorhang, und betreue den Rest des Tages psychologisch die ehemaligen Stars, den traurigen Elefanten und die beiden Königstiger.

Eventuell werde ich später sogar von einer dieser reizend altmodischen Sideshows abgeworben und fahre fortan mit der Frau ohne Unterleib und dem Haarmenschen über die Dörfer. Die Frau ohne Unterleib wird eine richtig gute Freundin, es gibt zwar Tage, an denen sie nicht ansprechbar ist, "you know, its that time of the month", aber meistens sind wir ein Herz und … noch ein Herz. Und der Haarmensch ist ohnehin ein netter Typ und berät mich kostenlos in Sachen Extensions. Abends streamen wir im Wohnwagen auf dem Laptop mit Surfstick (ohne Vertrag) alte Filme aus der NDR-Reihe "Mumien, Monstren, Mutationen" und kichern.

Der Modeltraum ist nun allerdings endgültig ausgeträumt. Vielleicht, wenn lange Beine, kurzer Rücken und hübsche Glattgesichter mal out sein sollten, gehe ich irgendwann doch noch zu Heidi Klum. Auch die Frau ohne Unterleib nehme ich mit. Wir Freaks müssen zusammenhalten. Der Haarmensch kann ja die Maske machen.

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1 Kommentar

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  • H
    HCL

    Nur die Ruhe, Jenni, und gib deine Tätigkeit in den Salt Flats des satireproduzierenden Gewerbes nicht vorschnell auf. 2% der Menschen sind in etwa 140 Millionen Individuen. Da mußt du schon einige Megacities zusammenschrauben, um auf so ne Bevölkerungszahl zu kommen! Oder Deutschland und Frankreich.

    Der Harry Pierpont von der Dillinger Terror Gang hatte auch so ne lustige Eigenheit. "He had a peculiar deformity. His second and third toes on both his feet were grown together at the first joint." (http://jhdillinger.fortunecity.com/pierpont.html) Trotzdem mußte er, anstatt in der Bank seiner Wahl einfach ne Mastercard hinzulegen, ne Thompson Machine Gun in der Hand halten, um Geld abheben zu können.