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die wahrheitBad Peking

Im Jahr des Hasen: Einer der vielen Vorteile meines Lebens in Peking ist, dass es hier Applikationen für Tablets, Smartphones und so weiter gibt, die in Deutschland nicht allzu verbreitet sind...

E iner der vielen Vorteile meines Lebens in Peking ist, dass es hier Applikationen für Tablets, Smartphones und so weiter gibt, die in Deutschland nicht allzu verbreitet sind. Extrem beliebt unter den Bewohnern dieser Stadt ist beispielsweise "Beijing Airquality". Das ist eine App, die im Stundentakt die auf dem Gelände der ortsansässigen amerikanischen Botschaft gemessenen Luftverschmutzungswerte an den interessierten Pekinger Atemluftverbraucher liefert.

"Beijing Airquality" ist eine echte Killerapp. Vorletzten Dienstag meldete sie beispielsweise einen Wert von 513 auf dem Luftverschmutzungsindex AQI beziehungsweise API. Das war jenseits der Skala, die nur bis 500 geht. Zwar führt Peking keineswegs die Liste der Smogstädte weltweit an. Die PM10-Feinstaubkonzentration in der Luft liegt bei uns im Jahresmittel lediglich bei 121 Mikrogramm pro Kubikmeter. Das ist ein Wert, der nach Statistiken der Weltgesundheitsorganisation allein von zwölf Großstädten in Indien übertroffen wird, und um den uns wohl die Bewohner von Ahwaz im Iran (Jahresmittel 372 µg/m3) oder Ulan Bator (279 µg/m3 ) beneiden dürften.

Diese Relationen beeindrucken die Pekinger allerdings wenig. Fast kein Tag vergeht, an dem man nicht auf jemanden trifft, der sich über den schlimmen Smog beklagt, um dann im gleichen röchelnden Atemzug die Obrigkeit dafür verantwortlich zu machen. Schuld an der Empörung sind sicherlich auch die Luftverschmutzungs-Apps. Hier liefert man nämlich nicht nur die nackten Werte. Sie werden gleich interpretiert, wobei man den Einschätzungen der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA folgt. Ein Luftverschmutzungsindex-Wert von mehr als 150 wird als "unhealthy" bezeichnet, und ab 301 Punkte gilt die Luft als "hazardous". Bei letzterem Wert sprechen amerikanische Behörden "Gesundheitswarnungen unter Notfallbedingungen" aus. Da müsste wohl sofort die ganze Stadt geschlossen werden.

Da das nicht geht, benennt das Pekinger Umweltschutzbüro die Kategorien einfach um. Was für die Amerikaner "unhealthy" ist, gilt den Pekingern nur als "lightly polluted". Die Kategorie "very unhealthy" heißt auf Chinesisch "moderately polluted". Auch hat man Feinstaub mit einer Partikelgröße von weniger als 2,5 Mikrometern Durchmesser bisher gar nicht erst gemessen, um die Bewohner Pekings nicht zu sehr aufzuregen.

Das funktioniert jedoch dank der Luftqualitäts-Apps nicht. Ich denke auch, dass die Verharmlosungsstrategie der völlig falsche Ansatz ist. Vielmehr sollte man den Smog neu bewerten. Der aktuelle Wintersmog zum Beispiel riecht sehr intensiv nach verbrannter Kohle. In meiner Jugend roch es winters überall in Deutschland so, selbst auf dem platten Land. Das heißt: Wenn ich den hiesigen Wintersmog einatme, fühle ich mich an meine Adoleszenz erinnert, mithin wieder so richtig quicklebendig. Und ich kann mir vorstellen, dass es nicht nur mir so geht. So könnte man Peking im Winter weltweit ganz neu vermarkten: Als den etwas anderen Luftkurort, oder einfach als - Bad Peking.

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6 Kommentare

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  • H
    HCL

    PS.: Von 1949 (Gründungsproklamation VR China) bis 2002 (Zulassung von Privatunternehmen) sind es 53 Jahre.

    PPS.: Hat eigentlich außer mir jemand Bad Peking zunächst wie "Bad Bank" gelesen, anstatt wie "Bad Steben" (seit 23.März 2001 Sitz einer der schönsten der neun Spielbanken Bayerns)?

  • H
    HCL

    Na, in Peking ham Rauchverbote in Kneipen wenigstens schon mal keinen Ansatz. Wenn da der Wirt ruft, "Hey du, raus aus meiner Bar mit dir und deiner Fluppe!" kann man wenigstens kontern: "Wollen Sie mich umbringen?"

    Mein Lieblingsbeispiel des funktionierenden Kapitalismus ist, daß die in Deutschland schön brav in gelben Säcken gesammelten, aus mir unbekannten Gründen konsumenterseits der altbewährten Glaspfandflasche vorgezogenen, leergesoffenen Plastikgetränkeflaschen geschreddert und nach Ch´in gekarrt werden. Dort lohnt es sich, warum auch immer, diese Verpackungsart chemisch aufzuschlüsseln und daraus Garn zu spinnen, aus dem dann Pullover für den Export u.a. nach Deutschland gewebt werden. Wodurch hierzulande in Müllverbrennungsanlagen, wo diese Plastikscheiße bisher thermisch recycelt wurde, soviel Kapazitäten frei werden, daß Neapel seinen Müll über die Alpen karrt, um diesen bei den Krauts einäschern zu lassen. Hannibal würde glatt nasse Augen kriegen. Wer früher meinte, es sei Wahnsinn, Getränkedosen zwischen Walzwerk, Falzwerk und Befüllungsanlage durch ganz Deutschland brummifahren zu lassen, damit das Leergut irgendwann an Straßen- oder Waldrand landen kann, kanns dem ollen Elefantenwart einer längst eingeäscherten Metropole kaum übelnehmen. A propos Elefantenwart: Gibts die EPA eigentlich, damit ne Bundesbehörde der umweltbesorgten USA der durch Maoismus 53 Jahre lang belogen und betrogenen Bevölkerung des mittlerweile kapitalistisch gewordenen, ehemals nicht mal annähernd kommunistisch gewesenen Erzfeindes das Ausmaß ihrer Luftverschmutzung erklärt? Sollte diese nicht besser ihren Leuten in Alaska erklären, wie sich`s neben ner offenen Giftmülldeponie lebt? Als Angehöriger des Weltmarktführers Pro-Kopf-Urlaubsfernflugreisen, resp. Ökonation #1 mit beispielhafter Automobildichte, quecksilbergasbeinhaltender Energiesparlampen, windstrombetriebener Fernseher mit Flachbildschirmen in halber Kinoleinwandgröße, und Flugsicherheitsunterstüzungsabgabecent pro Zigarettenpackungseinzelfluppe bei strengem Rauchverbot begrüße ich ausdrücklich jede Form der Luft- und Umweltverschmutzung: Irgendwie müssen die auf fremde Planeten strebenden Flugreisewilligen doch das Leben in lebensfeindlicher Athmosphäre lernen! Grundkurs Frankfurt/Mainzer Landstraße, Studium in Beijing, danach praktisches Jahr in Mexiko City, den slumbewohnenden monsantoruinierten Maisbauern was erzählen! Und zwischendrin mal Urlaub machen, auf Titan soll es um diese Jahreszeit sehr schön sein: bei 103 Kelvin zeigt sich, wer am besten auf Methanwogen surfen kann! Pack den Tiger in den Tank, ab geht er.

  • B
    Besserwessi

    Liebe Liese, mein Ratschlag ist, besorgen Sie sich Satellitenaufnahmen.

    Die Luft ist fast ueberall schlecht in China.

    Wenn es nur ein Semester oder ein ganzes Jahr ist, dann ist das kein grosses Problem.

    Es gibt auch gute Tage in Peking,

    knapp 1/4 des Jahres, wuerde ich schaetzen.

    Peking bringt sprachlich am meisten, vor allem, weil man dort sein Hoerverstaendnis enorm verbessern kann.

    Als einzige echte Alternative wuerde ich Taipei empfehlen.

  • LW
    Liese Wang

    Eigentlich wollte ich im Sommer in Beijing studieren anfangen... Jetz lese ich das und auch im Studienführer Chinabridge Student ist ganz negativ über den Flughafen Beijing geschrieben . Da frage ich mich doch , wie kann Herr Schmidt da eigentlich freiwillig leben? Und wo soll ich besser studieren?

  • B
    Besserwessi

    Die Partikel werden ab naechsten Monat veroeffentlicht.

    NAchzulesen in einer South China Morning Post Ausgabe aus dem Januar 2012

  • B
    Besserwessi

    "Auch hat man Feinstaub mit einer Partikelgröße von weniger als 2,5 Mikrometern Durchmesser bisher gar nicht erst gemessen, um die Bewohner Pekings nicht zu sehr aufzuregen. "

     

    Dabei sind gerade das die gefaehrlichsten Partikel, weil sie tiefer in die Lunge eindringen.

    Habe uebrigens gelesen, dass sie doch gemessen werden und auch bald veroeffentlicht werden.

    Insofern bitte etwas mehr Recherche.........

    Ist bei den Sichtverhaeltnissen in Peking aber auch schwierig, hehehe.