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die stimme der kritikBetr.: Wohnungsmodernisierung

DRECKFINGER

In dem James-Bond-Film „Goldfinger“ mit Gert Fröbe als Bösewicht wird eine Frau getötet, indem sie ganzkörperlich mit Goldbronze angestrichen wird. Die Poren können nicht mehr atmen, der Mensch erstickt. Ich habe es zur Zeit mit Dreckfinger zu tun. Ich soll umgebracht werden, indem meine Poren mit Staub verstopft werden. Dreckfinger heißt eigentlich Herr Schmidt und ist von Beruf Bauleiter. Für die Arbeiten in unserer Wohnung hat er 8 Tage veranschlagt. Jetzt, am fünften, ist abzusehen, dass es eher 18 werden.

Was ist zu tun, wenn man täglich ab 7 Uhr in der Frühe drei Firmen in seiner Privatsphäre erdulden muss? Dann müssen Dinge fortgeschafft werden. Erotische Bücher werden aus dem Regal entfernt; die raubkopierten Videos müssen versteckt und die Schnapsflaschen schnell ausgetrunken werden. Kurzfristig kam mir der Gedanke, ob ich es mir überhaupt erlauben könne, die Wohnung ohne eine Schrankwand vorzuweisen.

Die Porträts von Goethe und Kafka über meinem Schreibtisch – würden die Arbeiter darüber lachen oder sie für verstorbene Verwandte halten? Die vielen Stofftiere und Puppen, ohne dass ein Kind irgendwo herumliefe. („Wir haben die Kinder zu den Großeltern gebracht“, könnte ich sagen.) Überlegungen über unsere drei Fernseher könnten aufkommen. („Drei Glotzen und zwei Videorekorder und sich dann wegen der Modernisierung beklagen!“) Beim Anblick der Regale im Wohnzimmer – würden sie fragen: „Ham Se die alle jelesen?“?

Tatsächlich haben die Arbeiter, die größtenteils sehr freundlich sind, nur einen einzigen Fehler: Sie sind da. Und sie machen alles dreckig. Einschließlich mich. Meine Poren sind verstopft, und die Haut kann nicht atmen. Deshalb bin ich jetzt ununterbrochen müde. Noch dazu kommt, dass ich jeden Tag um 6 Uhr aufstehen muss. Dann sitze ich herum und simuliere Arbeit, während es in meine Tastatur hineinstaubt. Goethe und Kafka sehen auf mich herab, vereinen sich mit meiner Mutter und sagen: „Hättest du doch was Anständiges gelernt.“

ANDREAS SCHEFFLER

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