die stimme der kritik: Betr.: Entlaufener Schnauzer
Wie fühlt sich Herrchen Rau?
Die plötzliche Stille ist das Schlimmste, das Vakuum der Gefühle, der Phantomschmerz des Fehlenden.
Der Bundespräsidenten-Schnauzer „Scooter“ (4) ist weg. Was fühlt das Herz von Herrchen Rau (69)?
Die Leere der Sinne: kein leises Tapsen. Kein lächelndes Bellen. Kein hechelnder Schatten. Keine bettelnden Augen. Kein tröstendes Fell zum Streicheln.
Die Angst des Alpha-Tieres um das ewige Baby: Hast du Schuld? Quietschende Autoreifen? Labyrinth Berlin. Die Hilflosigkeit des Liebenden.
Hunde besitzen den 6. Sinn der Rückkehr. Die Treue ihrer Herzen überbrückt Kilometer und endlose Tage.
„Scooter“ wird wieder bellen vor der Villa im Grunewald.
P.S. Gestern große Glossen-Konferenz in der taz. Wie jeden Tag die große, schwere Frage: Welches Thema rührt heute unsere Herzen? Alle Experten waren sich sofort einig: der Hund von Johannes Rau. Schon seit vier Tagen ist er verschwunden. Der kleine „Scooter“ irrt durch das große Berlin. Einige in der Redaktion haben sogar geweint, als sie von der erschütternden Nachricht hörten. Aber wie sollten wir unseren Gefühlen Ausdruck verleihen? Wie unserem stillen Schmerz? Dann lasen wir den Kommentar in der Bild-Zeitung. Norbert Körzdörfer, der Autor, einer der wenigen Journalisten in unserer so zynischen Branche, der Tiere genauso mag wie Politiker, sprach uns allen aus dem Herzen. Kurzerhand entschieden wir uns, diesen Bild-Kommentar den hunderttausenden Hundeliebhabern unter den taz-Lesern nicht vorzuenthalten. Wort für Wort können Sie diese Liebeserklärung an den Hund, ja, an alle Tiere, hier in der „stimme der kritik“ nachlesen.
Ein paar Stunden nach unserer ungewöhnlichen Blattentscheidung, die beweist, dass nicht nur der historische Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus, sondern auch der zwischen taz und Bild beigelegt ist, kam plötzlich Unruhe in der Redaktion auf. Nach bangen Momenten die Gewissheit: Der kleine „Scooter“ ist wieder da! Unversehrt! Glücklich! Die Familie des Bundespräsidenten kann aufatmen. Und wir auch.
Es gibt noch so etwas wie historische Gerechtigkeit: Das Atomkraftwerk in Tschernobyl wird abgeschaltet – und Raus Hund lebt.
JENS KÖNIG
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