die stimme der kritik: betr.: Theoretische Philosophie praktisch
Kanzler Schröder ist der Richtige
„Der Aufstand der Anständigen“ war schon gut, so rhythmisch, doch noch besser war ein anderes Kanzlerwort: „Demokratie kommt von Demografie.“ Das leuchtet sofort ein. Jedenfalls wenn man Deutsch spricht. Die Franzosen hingegen haben sich dieser Sprachlogik lange verschlossen. Erstaunlich – denn das Kanzlerwort lässt sich bruchlos übersetzen, zwei kleine Akzente, und schon hat es sich: „La démocratie vient de la démographie.“ Doch selbst nach Nizza wollen die Franzosen nicht wirklich einsehen, dass die Deutschen im EU-Rat die meisten Stimmen brauchen, nur weil sie das größte Volk sind.
Aber das macht nichts. Die Einsicht der Franzosen ist unausweichlich. Denn wir haben es hier mit mehr als nur einem Kanzler-Aphorismus zu tun. Es gibt einen Trend, der den engen Zirkel der Redenschreiber längst transzendiert. Kurz: Endlich hat sich eine neue Forschungsrichtung durchgesetzt – die Philosophie der Begriffsähnlichkeiten. Offiziell nennt sie sich selbst: Etymologische Assoziationstechnik.
An dieser Disziplin ist besonders erfreulich, dass sie so demokratisch ist. Jeder kann sie ausüben. Mehr als ein Duden ist nicht nötig. Hier nur einige Fundstücke.
Zum NPD-Verbot: Rechte Parteien lassen sich gar nicht verbieten – denn wie der Name schon sagt, haben sie erstens Rechte und zweitens immer Recht.
Zum Kanzler selbst: Rechtsanwalt Schröder ist der richtige Mann, Physikerin Merkel die falsche Frau. Denn wie der Name Kanzler nahe legt, ist dafür nur geeignet, wer in einer Kanzlei wirken könnte. Also wäre Jurist Stoiber der angemessene Oppositionsführer. Volkswirt Schmidt und Historiker Kohl sollten künftig Ausnahmen bleiben.
Besonders erschütternd: Dass sich die Konjunktur fast durch nichts von einem Konjunktiv unterscheidet. Nur zwei kleine Buchstaben am Ende. Daraus ist zwingend zu schließen, dass es die Konjunktur nur im Konjunktiv der Prognose gibt. Oder anders: Die Konjunktur existiert nicht, sondern nur Fed-Prophet Allan Greenspan.
Jede Forschungsrichtung hat ihre Vorläufer. Hier ist es Heidegger. Er verformte die Sprache unmittelbar zur Philosophie und erkannte schon früh: „Das Nichts nichtet.“ Sowie: „Die Welt weltet.“ Anonyme Philosophen an der Uni Hamburg ergänzten diese zentralen Sätze in einem Graffito: „Und das Zelt zeltet.“
ULRIKE HERRMANN
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen