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die stimme der kritikbetr.: „68“ und die Bürgerlichen

Meskalin statt Mescalero

Schön am derzeitigen Streit um „68“ ist, dass er mit so viel Emotion geführt wird. In den Seelen rechts und links der neuen Mitte brodelt es, da werden „Bekenntnisse“, „Buße“ und Einblicke in das „tiefste Innerste“ (Merkel) verlangt, da wird „Erbarmungslosigkeit“ (Schröder) gegeißelt – mit nüchterner, politischer Debatte hat das wenig zu tun.

Dass sich die CDU-Chefin hysterisiert auf die Klärung der 70er-Befindlichkeit der Herren Fischer und Trittin, weil das tiefste Innerste des aktuellen Spendenskandals in Kohls schwarzer Seele versiegelt bleiben muss – geschenkt. Aber allein mit Oppositionstaktik, den Regierenden so viel schmutzige Wäsche wie möglich vorzuwaschen, ist die Verve, die Betroffenheit der Debatte nicht zu erklären. Was bringt eine Angela Merkel, die damals bei der FDJ Blockflöte spielte, einen Friedrich Merz, der mit 17 in die Junge Union eintrat, einen Westerwelle, der 68 noch Sandkuchen backte, heute so in Rage? Aus der Empörung klingt die Wut, etwas verpasst zu haben, die nagenden Zweifel an der eigenen durch und durch angepassten, stromlinienförmigen Jugend.

Dass jetzt so ein nicht Angepasster, vor denen ihre Eltern sie immer gewarnt haben, in der Beliebtheitsskala weit über ihnen steht, wurmt tief. Es geht ja nicht nur um Militanz, als Spitze des Eisbergs, es geht um Dissidenz, Aufbegehren, Freiheitsdrang, um Demokratie und Bürgerrechte, um Sex, Drogen, Rock ’n’  Roll – eine Kulturrevolution. All das, was an karrieregeilen Blockheads wie Angela und Friedrich vollkommen vorbeigerauscht ist, weshalb sich Merz jetzt zum Provinzrebellen stilisieren muss und Merkel dumpfe Agitprop-Plakate drucken lässt, die selbst dem frühen Klaus Staeck – dessen Plakate in den 70ern von aufgebrachten Konservativen stets militant bekämpft wurden – zu geschmacklos gewesen wären. Dass neben Verbrecherplakaten im Stürmer-Stil auch auf die Haut tätowierte Nummern einfach unmöglich sind, bleibt natürlich unbemerkt.

Die CDU wiederholt ihr 68 . . . und kann es nicht. Deshalb jetzt „68 vom Sockel zu holen“, wie es Kaplan Hartung mit eregiertem Zeigefinger in der Zeit fordert, ist freilich nicht vonnöten – eher gilt es, den Konservativen und Nachgeborenen mit ein bisschen (Sub-)Kultur aufzuhelfen. Eine Dritte Welt/Imperialismus-Schulung für die Westerwelles, statt „Mescalero“ ein bisschen Meskalin und LSD für Merz & Co, und Angela muss dringend in die Frauengruppe: In ihrem tiefsten Inneren stimmt’s vorne und hinten nicht! MATHIAS BRÖCKERS

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